Furosemid im akuten Lungenödem – wirklich?

Die i.v. – Gabe von Schleifendiuretika ist in der Akuttherapie des kardialen Lungenödems weit verbreitet und vielfach in Algorithmen zementiert – „schließlich haben wir das schon immer so gemacht“. Wirft man jedoch einen Blick auf die Evidenz drängt sich die Frage auf: Sollte das wirklich so bleiben?

Ubi aqua, ibi evacua? (Wo Wasser ist, da entleere es?)

Die Vorstellung ist bildlich: der Patient im akuten, kardialen Lungenödem hat „Wasser in der Lunge“. Die Folgerung: Entwässerung sollte hilfreich sein, Entwässerung erreicht man mit Diuretika, zum Beispiel mit Schleifendiuretika wie dem Klassiker Furosemid (Lasix®). Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass viele Algorithmen – beispielshaft seien hier für den Rettungsdienst die Musteralgorithmen für NotSan des DBRD und für die Klinik die Leitlinie der DGK von 2012 oder der ESC von 2021 genannt – die Furosemid i.v. Gabe im akuten kardialen Lungenödem vorsehen. Üblich sind dabei in den Algorithmen Dosierungen von 20-40 mg, in der Praxis erhalten Patienten (insbesondere, wenn sie Diuretika in der Dauermedikation haben) initial oft 80 mg und mehr.
Diese Therapievorstellung beruht auf zwei Voraussetzungen: Man nimmt an, der Patient sei erstens „überwässert“, also hypervoläm und ein Ausschwemmen dieses „überflüssigen“ Wassers würde zweitens dazu führen, dass es zu einer zügigen Umverteilung des Körperwassers zwischen den Kompartimenten kommt. Banal ausgedrückt: Wenn ich das intravasale Volumen durch Ankurbeln der Diurese vermindere, soll das Wasser aus den Alveolen ins Gefäßsystem „nachlaufen“. Eine schöne, logische Vorstellung – die vermutlich leider nicht der Realität entspricht.

Sind Patienten im akuten kardialen Lungenödem wirklich volumenüberladen?

Zile et al haben 2008 die Pathophysiologie des Übergangs von der chronischen, kompensierten zur akuten, dekompensierten Herzinsuffizienz genauer unter die Lupe genommen. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass sowohl bei systolischer als auch bei diastolischer Herzinsuffizienz erhöhte diastolische Drücke (im Sinne erhöhter Vorlast) eine wichtige Rolle spielen, vor allem aber stellten sie nebenbefundlich bei der Auswertung des täglich erfassten Gewichts der Studienpatienten fest, dass die Mehrheit der Patienten bei Vorstellung im akuten Lungenödem nicht signifikant mehr Gewicht hatten, als zuvor im kompensierten Stadium ihrer Herzinsuffizienz. Tatsächlich hatte weniger als die Hälfte der Patienten eine minimale (< 1 kg!) Zunahme des Gewichts zu verzeichnen (Chaudhry et al). Das gleiche Gewichtsverhalten zeigte sich in den COMPASS-HF, HOMEOSTASIS und CHAMPION Studien. Man kann also folgern: Patienten, die auf dem Boden einer chronischen Herzinsuffizienz akut ins kardiale Lungenödem dekompensieren, sind in diesem Moment nicht stärker überwässert, als sie es zuvor in der kompensierten Phase ihrer Herzinsuffizienz waren – offenbar ist der Volumenstatus hier nicht der Triggermechanismus.
Aber wo kommt das Wasser in der Lunge dann her?

Es ist nicht zu viel Wasser im Patienten, es ist nur fehlverteilt

Fallick et al haben im Jahr 2011 eine (absolut lesenswerte!) Arbeit in Circulation veröffentlicht. Darin gehen sie der Frage nach, was der Mechanismus hinter der akuten Dekompensation sein könnte, wenn es eben nicht eine (als Gewichtszunahme messbare) Volumenüberladung ist. Wenn eine Volumenüberladung auftritt, dann tritt diese zeitlich nach Anstieg der Füllungsdrücke (i.e. der Vorlast) auf, nicht davor, wie man es erwarten würde, wenn ein Anstieg des Gesamtkörperwassers (und Natriums) die Ursache der Dekompensation wären. Viel eher handele es sich in der akuten Dekompensation um eine Fehlverteilung des intravasalen Volumens aus venösen Kapazitätsgefäßen (vor allem dem Splanchnikusgebiet). Ihr Fazit: Eine Volumenzunahme ist weder notwendig noch ausreichend um die Stauung zu verursachen.
Sollte man es dann aber nicht trotzdem mit „harmlosen“ Medikamenten wie Furosemid versuchen, bevor man zu anderen Mitteln greift?

Was spricht gegen Schleifendiuretika in der Initialtherapie des akuten kardialen Lungenödems?

  1. Schleifendiuretika verursachen über Ausschüttung von Renin eine Aktivierung des RAAS. Sowohl Angiotensin II als auch Aldosteron haben nachgewiesenermaßen schädlichen Einfluss bei chronischer und akuter Herzinsuffizienz. Nicht umsonst gehören ACE-Hemmer bzw. AT1-Rezeptor-Antagonisten und MR-Antagonisten wie Eplerenon zur Standardtherapie und haben in Studien eine deutliche Mortalitätssenkung bewiesen. Tatsächlich sind die Renin und AT II-Spiegel selbst bei Patienten mit akuter Dekompensation oft normal und steigen erst in Reaktion auf eine Therapie mit Diuretika an (Missouris, Broqvist).
  2. Die Diuretika-getriggerte Aktivierung des RAAS führt auch zu einer gesteigerten Sympathikusaktivität (der zweite Bösewicht im Spiel um die chronische Herzinsuffizienz, dessen Identifikation zur Einführung von Betablockern als Therapiestandard bei chronischer bzw. drohender Herzinsuffizienz geführt hat). Diese Sympathikusaktivierung könnte zu einer weiteren Umverteilung von venöser Reserve aus dem Splanchnikusgebiet führen (unabhängig vom Volumenstatus) und darüber sogar weitere Dekompensation oder Rebound fördern. Tatsächlich zeigte sich in den von Kraus et al und Francis et al veröffentlichten Daten nach Furosemid dosisunabhängig eine Erhöhung der Vorlast. Hier muss man jedoch ein „aber“ einfügen: Ein relevanter Anteil der PatientInnen, die uns im kardialen Lungenödem begegnen, nimmt RAAS-Inhibitoren als Dauermedikation. Und: Eine schnell eintretende Nachlastsenkung über prostaglandin-vermittelte Venodilation ist für Furosemid in Studien primär aus den 1970er Jahren (z.B. Dikshit et al 1973, an Hunden bei Bourland et al bzw. modellhaft an Armvenen bei Pickkers et al) durchaus belegt.
  3. Marik und Flemmer fassten die Evidenz 2011 zusammen (lesenswert!) und stellten neben einer Bekräftigung der bereits genannten Punkten zusätzlich fest: Diuretika reduzieren die GFR, und fördern die Entwicklung eines kardiorenalen Syndroms, die „konventionelle“ Therapie aus Diuretika, Morphin und ggf. Inotropika ist vermutlich eher schädlich.
  4. Diuretika reduzieren akut die linksventrikuläre Pumpfunktion und erhöhen die Herzfrequenz durch neurohumorale Aktivierung (Francis et al)
  5. Diuretika können zu vermehrten Komplikationen führen: Hoffmann und Reynolds konnten zeigen, dass bei Patienten, die Furosemid und Morphin zur Therapie des akuten Lungenödems erhielten, mehr Komplikationen auftraten und der Therapieeffekt nicht besser war als der von Nitroglycerin allein – allerdings war die Studie mit nur 57 eingeschlossenen Patienten sehr klein und hatte vier Therapiegruppen.
  6. Bei Diuretikagabe im Rahmen der Initialtherapie präklinisch oder in der ZNA kommt es binnen kurzer Zeit zu Harndrang – meist in Situationen, in denen die Atemnot weder so weit unter Kontrolle ist, dass man eine Flachlagerung zur Katheteranlage durchführen sollte oder aber in Situationen, in denen eine Miktion nahezu unmöglich oder für den Patienten mit entwürdigender Prozedur (Nachttopf/Urinflasche vor reichlich „Publikum“) verbunden wäre. Im besten Fall verstärken wir durch den Harndrang und das Bedürfnis „einzuhalten“ nur den Sympathikotonus mit erneuter Zunahme von Stress, Tachykardie und Hypertonie – im schlimmsten Fall zerstören wir das Vertrauen unserer PatientInnen in uns als Behandelnde durch Provokation entwürdigender (weil unsere PatientInnen so lange versuchen den Harn zu halten,  bis sie schließlich einnässen) oder gar gewalttätiger (gewaltvolles Herunterdrücken/Festhalten atemnötiger PatientInnen in Flachlagerung zur Katheteranlage) Situationen.

Keine Diuretika im Rahmen der Initialtherapie – was dann?

  • Vorlastsenkung! (Purvey et al 2017)
    1. „Herzbettlagerung“ mit erhöhtem Oberkörper und tief gelagerten Extremitäten
    2. Nitroglycerin repetitiv s.l. und/oder als Perfusor i.v. – unter Beachtung der Kontraindikationen, dann aber nicht zaghaft dosiert: Levy et al konnten zeigen, dass hochdosierte NTG-Gabe bei geringen Komplikationen mit weniger Intubationen, weniger ITS-Aufnahmen und weniger Notwendigkeit zur NIV einhergeht. Wilson et al kommen bei einem Follow-Up zu diesen Daten zum gleichen Ergebnis.
    Cotter et al haben sogar den direkten Vergleich zwischen Nitrat und Furosemid als Haupttherapieregime gewagt und stellen fest: Die Therapie mit Hochdosis-Nitrat in Kombination mit einer geringen Dosis Furosemid ist sicher und effektiver als eine hochdosierte Furosemid-Therapie mit einer niedrig dosierten Nitrat-Begleitmedikation (Maschinelle Beatmung wurde bei 40% der Patienten in der Furosemid-Gruppe nötig, aber nur bei 13% der Patienten aus der Nitrat-Gruppe). Konkret kann man also entweder mit repetitiven s.l.-Gaben (z.B. 0,4 mg alle 5 min entsprechend einem Hub Nitrolingual® – schwierig nach Beginn von Masken-CPAP/NIV) oder repetitiven i.v.-Bolusgaben (z.B. 2 mg alle 3 min, siehe Levy und Wilson) oder Perfusor (z.B. Start mit 50-100 µg/min bzw. 3-6 mg/h, ggf. Initialbolus 1-2 mg, schnelles Hochtitrieren abhängig vom Blutdruck) arbeiten.
    3. Erhöhung des intrathorakalen Drucks durch CPAP bzw. NIV (Weng et al, Mehta et al). Präklinisch ist bei Fehlen eines CPAP-fähigen Beatmungsgeräts überbrückende Improvisation mit einem Beatmungsbeutel mit PEEP-Ventil und einer O2-Nasenbrille möglich (siehe dazu Scott Weingarts genialer Podcast auf emcrit.org bzw. das zugehörige Video). Compliance-Problemen primär mit vorsichtigem „Eintitrieren“ der Drücke und vor allem enger psychischer Betreuung begegnen. Sollte eine Begleitmedikation unumgänglich sein ist ein niedrig dosiertes, schnellwirksames Benzodiazepin (z.B. Lorazepam oder Midazolam) vermutlich eine bessere therapeutische Option als Morphin. Informationen zu Hintergründen und konkrete Therapiehinweise zu CPAP/NIV gibt es hier und hier.

    NIV
    Symbolbild Masken-CPAP / NIV – N. Krenzke
  • Beim Hypertensiven Lungenödem: Nachlastsenkung, z.B. über entsprechend hohe Dosierung von Nitroglycerin (bevorzugt) oder mit Urapidil. Die Kombination Nitro + Urapidil sollte man wegen der Gefahr unkalkulierbarer Blutdruckabfälle möglichst vermeiden bzw. nur mit äußerster Vorsicht anwenden.
  • Bei gesicherter Hypervolämie:
    Zeitnahe Dialyse (UF) erwägen, ggf. Vasopressin-Antagonisten. Zur Sicherheit von Schleifendiuretika unter neurohumoraler Abschirmung mit ACE-Hemmern & ß-Blockade existiert widersprüchliche Evidenz
  • Vielleicht bald wieder im Trend als Wiederentdeckung aus den 1990ern: ACE-Hemmer zur neurohumoralen Abschirmung, z.B. Captopril s.l. (Hamilton, Haude), sofern noch nicht in der Hausmedikation
  • Kardiogener Schock (Subtyp „kalt feucht“ entsprechend den ESC Guidelines 2016):
    Inotropika, z.B. Dobutamin (differenzierter auch Levosimendan, Milrinon) ggf. plus Noradrenalin. Dort, wo Dobutamin nicht verfügbar ist (z.B. häufig präklinisch), stellt Adrenalin in der Akutsituation eine legitime Alternative dar.
  • Und natürlich: Ursachensuche und wenn möglich spezifische Therapie
    (z.B. beim ACS!) Anamnese, EKG, Labor, ggf. Bildgebung, …

Ist Nitro nicht viel zu gefährlich?

Um es kurz zu fassen: Nein. Dazu liegen mittlerweile zahlreiche Fallberichte und Studien, auch zur bereits präklinischen Anwendung durch Paramedics vor, z.B. Clemency et al. 2013, Patrick et al. 2020 und Perlmutter et al 2020. In keiner dieser Publikationen sind relevante Komplikationen dokumentiert. Selbst den Mythos, dass eine Nitroglycerin-Gabe bei PatientInnen mit moderaten oder gar schweren Aortenklappenstenosen zu Komplikationen führt, konnten Claveau et al. 2015 entkräften. Nitroglycerin ist insbesondere in der kontinuierlichen i.v-Gabe als Perfusor sehr gut steuerbar und auch in der präklinischen Anwendung durch den Rettungsdienst als sicher anzusehen.

Wirklich nie Diuretika?!

Nichts in der Medizin ist nur schwarz und weiß. Natürlich präsentieren sich viele kardial dekompensierte PatientInnen chronisch volumenüberladen mit venöser Stauung bis hin zum kardialen Lungenödem und natürlich profitieren diese PatientInnen von eine Rekompensation mit intensivierter diuretischer Therapie. Die Voraussetzungen: Es sollte sich auch bei kritischer Überprüfung tatsächlich um volumenüberladene PatientInnen handeln und die Möglichkeit zu Miktion oder Katheteranlage muss unter Würdigung der Privatsphäre gegeben sein. NACH Stabilisierung der Akutsituation und Überwinden der akuten Atemnot mit Erstickungsangst steht einer Einleitung oder Intensivierung der Diuretikatherapie sofern diese indiziert ist nichts entgegen.

TL, DR: Das Fazit

Ja, „wir haben das schon immer so gemacht“ und manch einer wird subjektiv „gute Erfahrungen“ mit Furosemid gemacht haben. Und ja, die schlachtentscheidende Vorlastsenkung kann man möglicherweise auch mit Furosemid bewerkstelligen (siehe dazu den hervorragenden Beitrag der Curious Clinicians). Dagegen spricht die mittlerweile breit vorhandene Evidenz: Die Mehrheit der PatientInnen ist nicht überwässert, sondern fehlverteilt. Es gibt keine guten, evidenzbasierten Gründe für Furosemid in der Initialtherapie, aber viele gute, evidenzbasierte Gründe dagegen. Zur Vorlastsenkung steht uns mit Nitroglycerin ein anderer, vom Nebenwirkungsprofil günstigerer, hervorragend steuerbarer, sicherer und mindestens gleichwertig effektiver Wirkstoff zur Verfügung. Es wird Zeit, dass wir unsere Komfortzone verlassen und den anderen Therapieoptionen (ohne Furosemid und vermutlich auch ohne Morphin – aber das ist eine andere Geschichte) die Möglichkeit geben, mit ihnen „gute Erfahrungen“ zu machen. Der Schlüssel für die Akuttherapie liegt in der Vorlastsenkung (Nitroglycerin, PEEP, bei terminaler Niereninsuffizienz mit Hypervolämie zeitnahe Dialyse).

Mehr Beiträge zum Thema aus der internationalen #FOAM-Welt:

Anmerkung der Autorin: In einer früheren Version dieses Artikels habe ich auch niedrig dosiertes Ketamin als eine im englischsprachigen FOAM-Universum häufig empfohlene Möglichkeit NIV-Toleranz beim Patienten zu erreichen genannt. Diese Empfehlung beruht lediglich auf Expertenmeinungen und wird beim kardialen Lungenödem in Deutschland kritisch diskutiert (Sympathikusaktivierung, in Deutschland aktuell noch postulierte relative KI beim ACS, …), sodass ich mich entschieden habe, den Hinweis auf Ketamin an dieser Stelle zu entfernen.

Print Friendly, PDF & Email

10 Kommentare

  1. Sehr schöner Beitrag.
    Vielen Dank.
    Ich werd, wenn möglich, es in der täglichen Praxis versuchen umzusetzen.
    … werde aber sicherlich auf viel Kritik stoßen, da ja leider die „Eminezbasierte Medizin“ noch (und wahrscheinlich auf unbestimmte Zeit) sehr verbreitet ist.
    Evidenz ist ja zum kontern genug da.

  2. Furosemid obsolet? Nope.
    Aktuelle Leitlinien sprechen eine andere Sprache (European Journal of Heart Failure (2016) 18, 891–975) und aktuelle Daten zeigehn: je früher Du das Zeug gibst, desto mehr Patienten überleben (J Am Coll Cardiol. 69(25):3042-3051, 2017 Jun 27).
    Wahrscheinlich ist es wie immer: Die Erkrankung ist viel komplexer als gedacht, zeigt phasenhafte Abläufe in denen Interventionen unterschiedlich effektiv sind.
    Furosemid ist weiter bei dieser Erkrankung indiziert – vielleicht nicht als erste Massnahme und sicher nicht für alle Patienten- aber erwägen muss man es.

    1. Lieber Florian – Danke für Dein Feedback! Leider habe ich die letzten beiden Kommentare jetzt erst gesehen und möchte doch noch einmal darauf eingehen:
      1. Dass Furosemid grundsätzlich „obsolet“ ist möchte ich mit meinem Post nicht ausdrücken. Mir geht es darum, den Stellenwert der Vorlastsenkung (Nitrate, CPAP/NIV) im Vergleich zu Schleifendiuretika darzustellen und darauf hinzuweisen, dass hochdosierte Diuretika vermutlich nicht die Schlüsseltherapie im akuten kardialen Lungenödem sind.
      2. „Die i.v. – Gabe von Schleifendiuretika ist in der Akuttherapie des kardialen Lungenödems weit verbreitet und vielfach in Algorithmen zementiert“ ist mein Einleitungssatz. Ja, die aktuellen ESC-Guidelines von 2016 führen Diuretika unter der Akuttherapie wie selbstverständlich mit auf. Interessant ist: Es findet sich in der Leitlinie praktisch keine Evidenz, die diese Empfehlung stützt. Vielleicht, weil es seit Jahrzehnten „gängige Praxis“ ist und wir es nie hinterfragt haben?
      3. Auf die zweite von dir genannte Quelle (REALITY-AHF) ist Salim Rezaie in seinem Post „Door-to-Furosemide in acute CHF – really?“ schön eingeangen (ich habe ihn unter meinem Beitrag verlinkt). Er stellt die Limitationen der Studie zutreffend heraus: Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie, damit erlaubt sie keine Aussage zur Kausalität. Bei unzureichender Randomisierung bleiben zahlreiche Variablen außerhalb des Furosemids unbeachtet, insbesondere CPAP/NIV und Nitrattherapie. Es gibt signifikante Unterschiede in den Patientengruppen, dazu gehört z.B. ein akuteres Auftreten der Symptome (<6h), höherer Blutdruck, schnellere Herzfrequenz und stärkere Zeichen der Fehlverteilung in der Frühbehandlungsgruppe, dadurch entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den Gruppen das eine klare Unterscheidung der Effekte zwischen Frühbehandlungsgruppe und Kontrollgruppe unmöglich macht. Patienten in der Frühbehandlungsgruppe wurden auch häufiger mit dem Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht (73% vs. 53%), was ebenfalls eine insgesamt frühere Behandlung (auch kausal, Nitrate, CPAP/NIV) begünstigt. Obendrein handelt es sich hier um eine kleine Zahl von Fällen und es wird auch keine Information zu Atemfrequenz oder Ursache der kardialen Dekompensation gegeben. Zusammenfassend: Auf Basis dieser Studie vorschnelle Schlüsse zu ziehen ist mit Vorsicht zu genießen.
      Im Rest deines Kommentars sind wir allerdings uneingeschränkt einer Meinung. 😉

  3. Ich seh das genauso wie Florian.
    In den aktuellen ESC-Guidlines von 2016 gibt es eine ganz klare evidenzbasierte Empfehlung (1 B) zu Furosemid und auch die schöne Studie, welche Florian bereits zitiert hat, bestätigt die Gabe von Furosemid beim AHF-Patienten.
    Jedoch ist es korrekt, dass sicherlich nicht jeder AHF-Patient davon profitiert und deshalb gilt es die richtigen Patienten herauszufischen. Als Hilfe hierfür gibt es einen Algorithmus in den ESC-Guilines, der klinisch basiert ist und die Therapieentscheidung erleichtern soll.
    Siehe auch: http://www.notfallmedizin.blog/herzinsuffizienz.html

    1. Hallo Jonas, danke auch für deinen Beitrag, den ich ebenso wie den von Florian leider jetzt erst bemerkt habe.
      Ja, die ESC-Leitlinie empfiehlt die Gabe von Furosemid, zur von Florian zitierten Studie habe ich unter Florians Kommentar ein paar Worte verloren – sie ist mit Vorsicht zu genießen. Werfen wir aber gemeinsam einmal einen genaueren Blick auf die ESC-Leitlinie:
      – zur Therapie des hypertensiven Lu-Ödems sagt sie: Prompte Reduktion des RR ist primäres therapeutisches Ziel und sollte frühestmöglich angestrebt werden. Aggressive Reduktion des RR mit i.v. Vasodilatoren in Kombination mit Schleifendiuretika wird empfohlen. Als Beleg dafür werden die auch von mir zitierten Studien von Levy und Cotter und die ESC-LL Hypertonie von 2013 angeführt. Es findet sich kein Beleg für die Empfehlung der Furosemid-Gabe, lediglich für RR-Senkung und Vasodilatoren. Abgesehen davon gehen die ESC-LL noch auf die Ursachen ACS, Arrhythmie, LAE und akute mech. Ursachen (Klappendefekte etc) als sofort zu therapierende Ursachen der dekompensierten Herzinsuffizienz (nicht zwingend mit Ödem) ein, bei deren Therapie Diuretika nicht genannt werden. Später, bei der Einzelbetrachtung der Pharmaka sagt die ESC: „Data defining optimal dosing, timing and method of delivery are incomplete“ und zitiert die DOSE Studie, in der Furo i.v. in der 2,5 fachen Dosis der vorher bereits oral dauerhaft eingenommenen Dosis effektiver war als andere Furosemid-Dosierungen (!), alle Patienten in dieser Studie sind mit Furosemid behandelt worden, andere Therapien wurden nicht verglichen. Die Autoren des DOSE trial folgern selbst, dass es unter den verschiedenen Therapieregimen (inkl. low-dose Furo Gruppe) keine sig. Unterschiede im „global assessment of symptoms“ und in der Nierenfunktion gab. Dass die Effekte aufs RAAS vermutl. dosisunabhängig sind deuten ja auch die Arbeiten von Kraus und Francis an.
      Damit bleibt in der ESC-Guideline nur eine Referenz zu Furosemid übrig, die ich nicht in meinem Post beachtet hatte, nämlich der Review von Menz et al (Decongestion in Acute Heart Failure, European Journal of heart failure, 2015), der auf einer Expertendiskussion (!) bei einem Kongress 2012 basiert. Abgesehen davon, dass es darin eher um die Langzeittherapie geht wird dort nur diskutiert, ob Furosemid oder Torasemid vorteilhafter sind, nicht ob eine diuretische Akuttherapie an sich Benefit bringt.
      Übrigens, darauf bin ich bei der Recherche nach den ESC-Quellen zufällig gestoßen: Im Schweinemodell gibt es Anzeichen dafür, dass auch eine Dauertherapie mit Diuretika eventuell schädlich ist, indem sie das Fortschreiten einer bestehenden Herzinsuffizienz fördert. (McCurley JM, et al, Am Coll Cardiol. 2004)

      1. Hmmm… also ich hab mir die DOSE-Studie nochmal genau angesehen. Es ist richtig, dass sich bei den primären Endpunkten im „global assessment of symptoms“ keine signifikanter Unterschied zeigt (Figure 1). Jedoch fand sich bei den sekundären Endpunkten signifikante Unterschiede … „High-dose furosemide resulted in greater net fluid loss, weight loss, and relief from dyspnea“ … (Siehe Tabelle 2 in der Studie) und genau darauf bezieht sich im übrigen auch das Review von Menz et al unter „Lopp diuretics“ (Decongestion in Acute Heart Failure, European Journal of heart failure, 2015).
        Ich tue mich deshalb mit der Aussage schwer, dass Schleifendiuretika beim AHF keinen Sinn machen. Zum Beispiel werden Phänomene wie eine Diuretika-Resistenz, welche einige AHF-Patientin aufweisen in den Studien auch nicht berücksichtigt…. ABER es wäre tatsächlich schön, wenn es einen Vergleich von Diuretika vs andere Therapie im AHF gäbe
        Dein Artikel hat auf jeden Fall zum nachdenken und diskutieren angeregt, was ich super finde.

  4. Furosemid ist nicht das Medikament der ersten Wahl. Aber: Kein Mensch, der das Medikament in dieser Situation benutzt denkt an eine Volumenüberladung.

    Der vasodilatatorische, vorlastsenkende Effekt der Schleifendiuretika tritt noch vor der diuretischen Wirkung ein und wird humoral über die Niere vermittelt.

    Ein Dogma bequatschen, wo es keins gibt.. ist das Sinn dieser RETTER hier?

    1. Hallo Martin, danke für deinen Beitrag. Und Du hast Recht: Ein der diuretischen Wirkung zeitlich deutlich vorausgehender vasodilatorischer Effekt von Schleifendiuretika ist gut belegt. Warum sollte ich aber die NW eines Medikaments mit möglicherweise unerwünschter / nicht indizierter Hauptwirkung (Diurese) zur Vasodilatation/Vorlastsenkung einsetzen, wenn ich einen anderen Wirkstoff (Nitroglycerin) habe, der das gleiche als Hauptwirkung evidenzbasiert potent, schnell, zuverlässig und sicher erreicht und mir dabei evt. noch negative Nebeneffekte (RAAS-Aktivierung, Elyt-Verschiebung, Harnverhalt, …) einkaufen? Wenn der Patient eine Indikation für ein Diuretikum hat (FOPE) soll er ja auch eines bekommen, diese ist m.E. nur eben nicht automatisch bei allen Patienten im akuten Lungenödem gegeben, das herauszustellen ist Ziel des Artikels.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.