Hypertensiver Notfall – red flags

Es gibt wohl Verwirrung, also hier noch mal für alle als Einleitung: Es! Gibt! Keine! „Hypertensive Krise“! in der Notfallmedizin. 
Es taucht aus traditionellen Gründen immer wieder mal auf, von daher wird der Ausdruck auch genutzt. Aber schon die „alten“ (von 2013) Leitlinien der ESC zur arteriellen Hypertonie sagen klar, dass das KEIN Notfall ist. In der deutschen Version/Kommentar taucht der Ausdruck nicht mal mehr auf. Also: bitte nicht mehr. Nun aber zum eigentlichen Thema. 
Dass hoher Blutdruck kein Verbrechen ist und grundsätzlich keiner akuten Senkung oder Behandlung bedarf, sollte sich mittlerweile rum gesprochen haben. Auch weiterhin bekommen wir trotzdem Busladungen an besorgten Patienten von Notärzten gebracht, die ihren Patienten einreden, dass sie davon sterben könnten, wenn sie sich nicht unbedingt jetzt und sofort behandeln lassen würden. Dass dies mehr Komplikationen macht als hilft, ist diesen Werbeverkaufsveranstaltungen für das ärztlich besetzte Rettungsmittel nicht bei zu bringen. Außerdem ist es ja dann nicht mehr deren Problem, sondern das der Mitarbeiter in der Notaufnahme – die dann dem verdutzten Patienten erklären müssen, warum sie jetzt von der Liege absteigen dürfen und das Taxi nach Hause selbst bezahlen müssen. 
Es gab aber nach den letzten Artikeln doch immer wieder Nachfragen zu den Warnzeichen eines Endorganschadens und unserer Behandlung in diesen Fällen. Deswegen gibt es hier eine Zusammenfassung der red flags, bei denen es im dasHOSPITAL tatsächlich zu einer akuten Behandlung kommt und wir rasch aktiv werden. Und am Schluss werdet ihr sehen, warum das alles dann nur begrenzt Sinn macht. Hier der Überblick:

  • neurologisches Defizit: In der Literatur wird dies sehr unscharf verwendet. Wenn man jeden Schwindel und Kopfdruck bei erhöhtem Blutdruck aggressiv behandelt, kommt es zu einer hohen Überbehandlung und letztendlich Somatisierung der Patienten. Im dasHOSPITAL werten wir unspezifischen Schwindel und Kopfschmerzen eher als eben auch nur unspezifischen Begleiteffekt. Wird aber ein neues neurologisches Defizit erkannt, wird das immer als Notfall behandelt. Natürlich unabhängig von der Blutdruckhöhe – und zwar als Schlaganfall, zumindest bis zum Beweis des Gegenteils.
    • keine aggressive Blutdrucksenkung, bei extrem hohen Werten Urapidil i.v. titriert (erst ab 185mmHg bei Reperfusionstherapie, 220mmHg bei konservativem Prozedere)
  • Angina pectoris-Symptomatik (und ich benutze bewußt nicht den unsäglichen und von den Kardiologen katastrophal vereinnahmten Ausdruck Brustschmerz): Eine neue oder bekannte AP gilt natürlich immer als Notfall und wird entsprechend mehrgleisig behandelt:
    • Blutdrucksenkung und parallele Abklärung bezüglich myokardialer Ischämie.
  • akutes Aortensyndrom: Der Übergang zur AP ist hier natürlich fließend, und wenn ich bei hypertensiven RR-Werten an eine Myokardischämie denke gehört das Aortensyndrom mit in die Differentialdiagnose. Damit erfolgt ebenfalls eine Blutdrucksenkung – die nach bestätigter Diagnose noch aggressiver ist (innerhalb von 20 Minuten auf 100-120 mmHg systolisch).
    Wie stelle ich schnell die Diagnose? POCUS. Und konsekutiv die CT-Angio zur Diagnosesicherung und Therapie-Vorbereitung. Natürlich kann ich im POCUS die Dissektion nicht immer ausschliessen, wenn ich also den weiter bestehenden Verdacht habe, erfolgt auch hier die CT-Angio. D-Dimer kann in der Einschätzung der Vortestwahrscheinlichkeit sinnvoll sein.
  • Sehstörungen: das fällt natürlich im weitesten Sinne unter neurologisches Defizit und wird dementsprechend zeitnah abgeklärt. Wenn sich aber keine zentrale Ursache finden lässt, ist eine augenärztliche Vorstellung unbedingt notwendig – natürlich abhängig von den Symptomen nach RR-Reduktion: bei persistierenden Beschwerden sofort, bei sistierten Symptomen im Verlauf.
  • hypertensives Lungenödem: hier sei auf den exzellenten Artikel von Aurelia verwiesen und
  • Selten kann mal das plötzliche Absetzen (z.B. weil die Medikamente ausgegangen sind) von Betablockern und anderen Mitteln (z.b. Clonidin) zu hypertensiven Entgleisungen führen, typischerweise mit ausgeprägter Unruhe. Kommt nicht so oft vor, wenn man aber dran denkt ist das Problem rasch gelöst.
  • Schwangerschaft: Hier ist eine weitere Abklärung und Anbindung unbedingt notwendig, eine RR-Senkung ist mit Urapidil, Nifedipin und Metoprolol möglich. Dihydralazin ist zugelassen, macht aber erhebliche Nebenwirkungen. Wie bei allen Schwangerschaftsproblemen ist embryotox die Ressource der Wahl.

Letztendlich muss man sagen, dass man die Grunderkrankung in bekannter Weise behandelt und zusätzlich je nach Indikation und Beschwerdebild adaptiert den Blutdruck senkt. Ein hypertensiver Notfall mit akutem Nierenversagen ist ein akutes Nierenversagen, das ggf. eine Dialyse braucht, und ein hypertensiver Notfall mit neuem neurologischen Defizit ist als ischämischer oder hämorrhagischer Schlaganfall zu werten. Und keiner von uns käme doch auf die Idee, die Originalerkrankung dann irgendwie anders zu behandeln, nur weil beim Blutdruck auf einmal eine 2 vorne steht (zumindest vorausgesetzt er ist 3-stellig.)
Mein Fazit – und das mag möglicherweise provokant sein: für mich gibt es keinen hypertensiven Notfall (genauso wie es keinen hypotensiven Notfall gibt). Nur eine Grunderkrankung, die mit einer Blutdruckerhöhung einhergeht oder davon getriggert wird – der Endorganschaden. Und die Blutdruckerhöhung behandelt man immer an die Grunderkrankung adaptiert. Oder wer würde den hypotonen Patienten mit Dyspnoe und produktivem Husten sowie Fieber als „hypotensiven Notfall“ bezeichen? Der Patient ist septisch bei Pneumonie, und dann wird parallel neben vielen anderen „Surrogatparametern“ auch der Blutdruck behandelt.
 
Wer noch Anregungen oder andere Meinungen hat, immer gerne: Meldet euch auf Twitter: @_dasFOAM oder @acutePOCUS, oder kommentiert auf Facebook oder auch hier unten.
Wie immer gilt: der Einzelfall entscheidet, die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr, die Verantwortung liegt bei der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt. Wie alle unsere Artikel behandelt auch dieser eine notfall- bzw. akutmedizinische Situation, nicht die Versorgung auf Station oder in der Hausarztpraxis.
Quellen und weiterführende Literatur:
Eine schöne Zusammenfassung mit vielen Interventionsmöglichkeiten bei hypertensiven Patienten in verschiedenen Situationen gibt es auf http://news-papers.eu/?s=hypertensiver+notfall
https://www.hochdruckliga.de/tl_files/content/dhl/downloads/2014_Kommentar_Arterielle_Hypertonie_final.pdf
https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Arterial-Hypertension-Management-of
https://emcrit.org/racc/scape/
https://www.embryotox.de/hypertonie.html
https://www.uptodate.com/contents/evaluation-and-treatment-of-hypertensive-emergencies-in-adults

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4 Kommentare

  1. Was ist denn nach Meinung des Autors zu tun, wenn ein Patient ohne weitere Symptome einen Druck von 220 syst. hat? Zu Hause lassen? Am nächsten Tag zum HA? Den ärztlichen Notdienst rufen?

  2. Genau, beruhigen, zuhause lassen, geht praktisch immer von selbst wieder runter. Am nächsten Tag zum Hausarzt.
    Meist haben die ja auch schon Medikamente, da kann man noch etwas zusätzlich geben (das ist aber nur für das Gefühl des Patienten, nicht weil es wirklich was bringt).
    Die Vorstellung, dass sie sich gerade in einer lebensbedrohlichen Blutdruck Krise befinden macht das ganze ja schlimmer. Also: Aufklärung und Beruhigung.
    Und Blutdruckselbstmessung macht Krebs.

  3. Sehr schöner Artikel!
    Mein Lieblings-NEF-Fall in den letzten Wochen war der Patient mit 2,8 Promille (Meldung Leitstelle: Hypertensive Krise!), der von mir neue Blutdrucktabletten wollte, weil es im Kopf so komisch sei…

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