Schlüsselprinzipien der Human Factors

Die bekannte clinical human factors group aus England hat ein neues Dokument veröffentlicht, das die wichtigsten Human Factors Aspekte unter hoher Belastung ausgezeichnet zusammenfasst.

Wir haben bei unserer Übersetzung versucht, die Kernaussagen in gut lesbarer und verständlicher Form zu übersetzen. Möglicherweise weicht die übersetzte Version hinsichtlich einzelner Details vom englischsprachigen Original ab. Wir möchten daher alle Leser ausdrücklich auffordern, auch einen Blick in die Originalversion zu werfen. 

Gute Zusammenarbeit im Team, Führung und Kommunikation erhöhen die Sicherheit für Dich selbst, Deine Patienten und Kollegen.

1. Besprich die Lage mit dem ganzen Team – selbst wenn es nur kurz ist

Am besten zu Beginn des Dienstes, aber grundsätzlich kann zu jedem Zeitpunkt ein gemeinsames Lageverständnis geschaffen werden. Du weißt vielleicht, was zu tun ist – aber wissen es auch Deine Kollegen?

  • Verständige dich auf klare Sprachregelungen, um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden und Antworten zu beschleunigen
  • Sorge für eine klare Rollenverteilung: wer, wie & was wenn?
  • Einigt Euch auf einen Weg, um Bedenken zu äußern
  • Führe eine Lagebesprechung vor dem Anlegen der persönlichen Schutzausrüstung durch

2. Handle besonnen unter Stress

Angst und Stress beschleunigen in einfachen Situationen unser Handeln- aber die derzeitige Situation ist nicht einfach. Nimm dir einen Moment Zeit, bevor Du beginnst, Deine Handlungen zu planen.

Du bist auf schnelles Handeln programmiert – unter hohem Druck probier daher folgendes:

  • Vertiefe Deine Atmung oder zähle bis 10
  • Mach ein Team-time-out – mit einer zuvor vereinbarten Handlung oder einem Codewort
  • Benutze eine Gedankenstütze wie „ABCDE“, um Erstmaßnahmen zu lenken
  • Stelle offene Fragen – Was glaubst DU passiert gerade?
  • Nutze eine Tätigkeit – wie das Anlegen der Schutzausrüstung – zum Innehalten

3. Wähle für dynamische Szenarien einen offenen Führungsstil und binde Dein gesamtes Team ein

„Erst fragen, dann führen“. Höre jene Teammitglieder an, die gerade den Überblick haben. Berücksichtige die Perspektiven verschiedener Berufsgruppen und Personals unterschiedlicher Berufserfahrung, um ein besseres Gespür für Gefahren und Fehlern zu bekommen.

  • Stelle offene Fragen bevor Du handelst – Was glauben wir passiert gerade? Was glauben wir muss jetzt passieren?
  • Konzentriere Dich darauf was richtig ist, und nicht darauf, wer Recht hat

4. Unterstütze Personal, das noch nicht eingearbeitet ist

Neues Personal, beispielsweise Aushilfen oder Personal aus anderen als Intensiv- und Notfallbereichen fühlt sich eventuell unvorbereitet und unsicher, da es mit der Arbeit in einem Intensivbereich nicht vertraut ist. Sorge dafür, dass Handlungsempfehlungen verständlich formuliert und Handlungsabläufe und Ausrüstung erklärt wurden. Wenn Zeit ist, gib neuem Personal die Möglichkeit mittels Simulation zu üben.

  • Sei freundlich und einfühlsam, antizipiere Auslöser von Stress
  • Erkläre, warum Dinge auf eine bestimmte Weise gemacht werden

5. Benutze Checklisten und Merkhilfen, um Aufgaben zu unterstützen

Führe eine Handlung aus, dann überprüfe das Ergebnis und nicht die Handlung.

Zum Beispiel: Dreh den Sauerstoff auf, prüfe dann die Flussrate, nicht die Ventilstellung.

Geh nicht zum nächsten Schritt über, bevor Du persönlich das Ergebnis überprüft,  oder eine entsprechende Erfolgsmeldung bekommen hast. Versuche Unterbrechungen zu vermeiden, denn sie erhöhen die Fehlerrate signifikant.

  • Führe jede Handlung aufmerksam und durchdacht aus
  • Falls Du unterbrochen wirst, halte inne und erwäge, ob es nicht sicherer wäre, noch mal von vorne zu beginnen

6. Ermutige dein Team, Bedenken zu äußern

Ermutige jedes Teammitglied, seine oder ihre Bedenken zu äußern, jede Person kann  eine vermeidbare Katastrophe verhindern. Eine flache Hierarchie macht es niederrangigen oder neuen Teammitgliedern einfacher, sich ein zu bringen. Stelle sicher, dass alle Teammitglieder einander mit Namen vorgestellt wurden und regelmäßig untereinander Blickkontakt herstellen.

  • Wer Fragen stellt oder Probleme anspricht, hat Lob, nicht Herabwürdigung verdient
  • Gib allen Teammitgliedern ausdrücklich die Erlaubnis, ihre Bedenken zu äußern

7. Erkenne Faktoren, die die Leistung schmälern

Gute Teamspieler erkennen, wenn Kollegen unter Stress stehen und helfen ihnen, indem sie einen Teil ihrer Arbeitsbelastung übernehmen und emotionale Unterstützung bieten. Halte Ausschau nach Belastungen, die die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, wie etwa Müdigkeit, Sorgen, unkollegiales Verhalten, Erkrankung, Lärm, Ablenkungen und Hunger.

  • Erinnert einander eine Pause zu machen – möglicherweise haben wir Schwierigkeiten, das für uns selbst zu erkennen.
  • Folge einem Pausenplan und stell sicher, dass alle essen, trinken und zur Toilette gehen können, besonders, wenn PSA über einen längeren Zeitraum getragen werden muss
  • Gib allen Teammitgliedern ausdrücklich die Erlaubnis, ihre Bedenken zu äußern

8. Mach Nachbesprechungen mit dem Team, um aus Erfahrungen zu lernen

Was Du in einer Schicht erlebt hast, arbeitet in deinem Kopf weiter, besonders die Fehler, die du glaubst, gemacht zu haben. Besprich Dich im Team am Ende einer Schicht und tausche Dich aus, um Lernen zu ermöglichen und das seelische Wohlbefinden zu erhalten. Weise auf verfügbare Unterstützungsmaßnahmen hin und erwäge, eventuelle kritische Vorkommnisse in einem Berichtssystem über kritische Vorkommnisse zu vermerken (z.B. CIRS).

  • Stelle offene Fragen – Worauf sind wir stolz? Was waren die Herausforderungen?
  • Sei ein Vorbild – teile eigene Gefühle und Überlegungen. Bestärke andere, es auch zu tun!

9. Denke auch an alle anderen Mitarbeiter im Gesundheitssystem

Alle Arbeitskräfte werden unter Druck stehen, beispielsweise solche am Empfang, im Labor, der Krankenhausapotheke, im Transport- oder Reinigungsservice oder in der Verwaltung. Für eine Situation wie diese haben sie möglicherweise weder eine geeignete Ausbildung noch die entsprechende Erfahrung. Eventuell werden sie sich also auf der Suche nach Ideen oder mit der Bitte um Unterstützung an Dich wenden. Möglicherweise haben sie die entscheidenden Einblicke, die Dir fehlen.

  • Hör Dir Fragen und Bedenken an, die diese Mitarbeiter zu Patienten haben- sie verfügen unter Umständen über wesentliche Informationen
  • Unterstütze sie im Umgang mit ihrer Schutzausrüstung und hör dir ihre Sorgen zum Kontakt mit potentiellen Covid-Patienten an

 

Einen herzlichen Dank an Martin Bromiley und die Clinical Human Factors Group, dass wir die Empfehlungen übersetzen durften!

Übersetzt von @jopu und @sim_als

Wir haben die Kernaussagen für Euch außerdem in eine Infografik gepackt, das druckbare PDF findet ihr hier!

 

Human Factors_v1.0.png

 

 

Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

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