Spannend, was an Rückmeldungen und Ideen zu diesem virtuellen Fall kam, da sind einige interessante Aspekte dabei! Grundsätzlich freuen wir uns als Team immer über jede Art von Rückmeldungen, also einfach kommentieren oder anschreiben.
Aber wie ging es bei unserer spanischen Patientin weiter? Ihr erinnert euch, so richtig zu fassen war nix, jegliche relevante Symptomatik weg und sowohl Blutdruck wie Herzfrequenz wieder im Normbereich. Und letztendlich haben wir die Optionen mit der Patientin besprochen, und dann gemeinsam entschieden: shared decision making. Und wie schon im letzten Pincast besprochen, setzt das voraus, dass mehrere Optionen zur Verfügung stehen. Hier war es so, dass der Patientin eine stationäre Aufnahme zur weiteren Abklärung angeboten wurde oder als Alternative die ambulante Abklärung beim Hausarzt und Augenarzt, dann gegebenenfalls bei konkreteren Beschwerden eben beim entsprechenden Spezialisten. Begleitend sollte eine psychotherapeutische Weiterbetreuung erfolgen, sodass wir möglicherweise die somatischen und psychosomatischen Beschwerden der Patientin besser differenzieren können. Wir haben uns gemeinsam gegen die stationäre Aufnahme entschieden und für eine ambulante Abklärung.
Und war das die richtige Entscheidung?
Vermutlich nicht. Vertretbar? Schon eher, wie ich glaube. Aber hinterher sind wir ja immer klüger, das ist ja das Spiel, das wir alle täglich spielen. Die weiterbehandelnden Kollegen werfen uns ja häufiger vor, dass man bestimmte Dinge unbedingt hätte sehen müssen, hier hilft nur Geduld, Großmut und der Verweis auf diese großartige Grafik:

Man hat einfach erheblich weniger Informationen vorher als hinterher alle anderen, die dann auf einmal unsere Qualität beurteilen. Vor allem wenn man die Informationen hinterher neu bewerten kann oder muss. In unserem Fall hatte das Team initial eigentlich keine wirklich akuten, wirklich neuen Symptome:
- Die Unruhe und Ängstlichkeit kennt die Patientin schon von Kindesbeinen an und ist in der Familie bekannt
- Hoher bzw. beginnend erhöhter Blutdruck wurde schon vor einem Jahr diagnostiziert (aber nie behandelt)
- Das rezidivierende Erbrechen ist ebenfalls schon seit Jahren bekannt, insbesondere dann verstärkt, wenn die Patientin unter Stress stand - so wie aktuell.
- Die intermittierenden Sehstörungen ließen sich akut nicht sicher verifizieren und waren eher unspezifisch und situationsabhängig.
- eine Stresssituation - unter der alle bekannten Symptome sich verstärken - lag ebenfalls vor
Alles in allem passt es gut zu einer am Ende psychosomatischen Grunderkrankung. Aber: die Patientin sah einfach krank aus. Wir wussten, irgendwas stimmt hier nicht, aber konnten es nicht fixieren. Von daher: Entscheidung für abwartendes Offenlassen oder “watchful waiting”, wie es aus der Allgemeinmedizin bekannt ist, in gemeinsamer Entscheidungsfindung mit der Patientin.
Mit etwas Abstand und einem anderen Winkel noch einmal zurück geschaut, woran denkt man sofort, wenn man diese Symptome hört, z.B. bei einem anderen Patienten oder - Gott bewahre - in einer Prüfung:
- zunehmendes Erbrechen
- Verwirrtheit/Vigilanzveränderung
- Doppelbilder/Sehstörungen
- Blutdruckerhöhung
Jop, Hindruckerhöhung.
Und das wäre nicht mal eine von den schweren Prüfungsfragen.
Konsequenterweise stellte sich die Patientin wenige Tage mit massiv progredientem Erbrechen (ohne Übelkeit) sowie zunehmender Schläfrigkeit und dauerhaften Doppelbildern vor. Bei dieser Dynamik wurde dann sofort in die richtige Richtung gedacht - jetzt war ja auch klar wohin die Reise geht - und das umgehende CT nachgeholt. Der darin diagnostizierte Tumor mit konsekutivem Hirndruck wurde umgehend operativ versorgt - noch mal gut gegangen.
Hinterher muss man solche Fälle immer nutzen, um sich selbst weiter zu bilden und dazu zu lernen. Aber hätte sich das Team im dasHOSPITAL beim nächsten Mal anders entschieden? Ich glaube nicht. In der Flut an Patienten mit unspezifischen Beschwerden ist es wichtig, die heraus zu filtern, die gefährdet sind. Und bei denen, die man nicht fassen kann, kann eine abwartende, beobachtende Haltung (“Verlaufskontrolle innerhalb von 3 Tagen beim Hausarzt”) eine sinnvolle Alternative sein.
Hätte es hier eine schnelle und einfache Alternative zur Diagnostik gegeben? Wie immer: POCUS. Man kann den Durchmesser des Opticus-Nerven 3mm nach dem Austritt aus dem Bulbus messen, und wenn dieser größer als 5 oder 6mm (je nach Quelle) gilt ein erhöhter intrakranieller Druck als gesichert. Man muss halt nur beim richtigen Patienten dran denken. Eine schöne Anleitung findet ihr wie immer auf 5min Sono.
Noch mal zusammengefasst, Zeichen des erhöhten Intrakraniellen Drucks:
- Kopfschmerzen
- Erbrechen
- Vigilanzstörung
- Sehstörungen insbesondere mit Abduzensparesen (VI. Hirnnerv)
- Papillenödem
- Die Trias aus Bradykardie, Dämpfung der Atmung und Hypertension wird als Cushing-Trias bezeichnet und ist ein Alarmzeichen, da die Einklemmung droht.
Wer noch Anregungen oder andere Meinungen hat, immer gerne: Meldet euch auf Twitter: @_dasFOAM oder @acutePOCUS, oder kommentiert auf Facebook oder auch hier unten.
Wie immer gilt: der Einzelfall entscheidet, die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr, die Verantwortung liegt bei der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt. Wie alle unsere Artikel behandelt auch dieser eine notfall- bzw. akutmedizinische Situation, nicht die Versorgung auf Station oder in der Hausarztpraxis.
Quellen:
Klicke, um auf _Grundlagen_der_Allgemeinmedizin__22.01.2013__UEberarbeitung.pdf zuzugreifen
https://lifeinthefastlane.com/ccc/increased-intracranial-pressure-in-traumatic-brain-injury/