Eine weltweite Initiative von Notfallmedizinern hat eine internationale Petition gestartet. Das Ziel: Die “Surviving Sepsis Campaign”, gerade aktualisiert veröffentlicht, soll zurückgezogen werden, weil sie qualitativ unzureichend ist. Worum geht es dabei überhaupt?
Was ist Surviving Sepsis 2018?
Die Leitlinienkampagne “Surviving Sepsis Campaign” (SSC) wurde erstmals 2002 veröffentlicht. In der letzten Version waren darin klare Therapieempfehlungen mit einer Zeitvorgabe verknüpft, was davon binnen drei bzw. sechs Stunden zu erfolgen hatte. Im April diesen Jahres wurde ein Update veröffentlicht, das diese Maßnahmen nunmehr innerhalb der ersten Stunde nach Klinikeinlieferung fordert - am Inhalt der Therapieempfehlungen hat sich dabei wenig geändert. Die Empfehlungen für die erste Stunde (die Zeit läuft ab Triage) im Überblick:
Tatsächlich liegt der Fokus der Kampagne auf der innerklinischen Therapie, unser Teammitglied Jürgen äußert sich zum Einfluss auf die Präklinik in seinem Blog: “Der (…) wichtige und informative Inhalt liegt in der hierdurch nochmals deutlichen Klarstellung dass es sich bei Verdacht oder gesicherter Sepsis um einen zeitlichen Notfall analog zum MI oder Stroke handelt.”
Eigentlich ist das Update doch zu begrüßen, wenn es den zeitkritischen Charakter des Erkennens und Behandelns von Sepsis als eigenständigem Notfallbild in den Fokus rückt? Und inhaltlich ist die Gewinnung von Blutkulturen vor Antibiose und ein zügiger antiinfektiver Therapiebeginn doch auch völlig richtig? Ja, aber…
Was sind die Kritikpunkte an der SSC?
- Zu viele Interessenkonflikte:
Die Entwicklung der Leitlinie wurde von den Pharmakonzernen Eli Lilly und Edwards Life Sciences als Teil einer Marketingkampagne gesponsort. Eli Lilly war Hersteller von aktiviertem Protein C (Xigris®), das in der SSC trotz fehlender Evidenz empfohlen wurde, bis es 2011 wegen fehlendem Nachweis eines Nutzens vom Markt genommen wurde. Die Autoren der Petition werfen der SSC vor, von Beginn an von Interessenkonflikten geprägt gewesen zu sein, starke Empfehlungen auf der Basis von schwacher Evidenz ausgesprochen zu haben und auf neue Evidenz nicht angemessen reagiert zu haben. In ihrem Statement stellen die internationalen Kollegen fest, dass 11 von 24 Leitlinienautoren einem Interessenskonflikt mit Eli Lilly unterlagen. - Zu langsame oder fehlende Reaktion auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse:
Die ursprüngliche Leitlinie basiert auf einer Single-Center Studie von Rivers, die ein Protokoll für eine “Early goal-directed therapy”, also eine früh an messbaren Therapiezielen orientierte Behandlung, definierte. Die SSC hat dieses Protokoll weiter empfohlen, nachdem Schlüsselelemente dieses Protokolls bereits widerlegt waren. Beispielsweise hat die SSC die Ausrichtung der Sepsistherapie am ZVD und der gemischvenösen Sättigung empfohlen, als bereits Studien mit kritischen Ergebnissen dazu vorlagen (inklusive PROCESS und ARISE). - Die klinische Einschätzung der behandelnden Ärzte hat zu wenig Einfluss:
Die SSC propagiert ein rigides Standardkonzept, dass für jeden Sepsispatienten geeignet sein soll und spricht dabei den behandelnden Ärzten die Fähigkeit zur klinischen Einschätzung beispielsweise des Volumenstatus und -bedarfs ihres Patienten ab. In den USA resultieren daraus weit größere Probleme als hierzulande, weil Versicherungskonzerne das leitliniengerechte Vorgehen als Standard festlegen und dadurch finanzieller und medicolegaler Druck auf die behandelnden Ärzte ausgeübt wird, im schlimmsten Fall entgegen ihrer ärztlichen Überzeugung und fachlichen Einschätzung des Falls stur nach der Leitlinie zu behandeln (beispielsweise einem klinisch volumenüberladenen Patienten einen Flüssigkeitsbolus zu verabreichen). - Das Update 2018 ist aus Sicht der Autoren der Petition noch schlechter als die vorherigen Versionen: Es werden starre Empfehlungen auf der Basis von schwacher Evidenz ausgesprochen, die obendrein noch mit dem Zeitdruck versehen werden, dass sie in der ersten Stunde ab Triage erfolgen sollen. Das fördert voreilige und unüberlegte Therapieentscheidungen ohne ausreichende Diagnostik - dabei gibt es keine ausreichende Evidenzbasis, die die Empfehlung dieses Zeitfensters stützt.
Wer hat die Petition ins Leben gerufen?
Hinter der Petition stehen im FOAM-Universum bekannte Namen, unter anderem Josh Farkas (Pulmcrit), Paul Marik (der mit dem Vitamin C bei Sepsis), Ken Milne (The SGEM), Salim Rezaie und Anand Swaminathan (R.E.B.E.L. EM), Rory Spiegel (EMNerd), Reuben Strayer (EMUpdates), Scott Weingart (emcrit) und Lauren Westafer (FOAMcast).
Was will die Petition erreichen?
Das Ziel der Petition: Die Surviving Sepsis Campaign soll zurückgezogen werden. Stattdessen sollen eigene, neue und lokale Leitlinien entwickelt werden, die das Ergebnis der Zusammenarbeit von geeigneten Fachgesellschaften sind und guten wissenschaftlichen Standards genügen, ausreichend evidenzbasiert sind und dadurch möglicherweise zu verschiedenen Therapieansätzen führen, die dann bezüglich ihrer Wirksamkeit verglichen werden können.
Wo kann ich die Petition mitzeichnen?
Die Petition kann online über diesen Link mitgezeichnet werden.
Quellen:
Originaltext des Surviving Sepsis Campaign Update 2018
Gemeinsames Statement der amerikanischen Kollegen auf rebelEM und emcrit.org
Beitrag unseres dasFOAM-Kollegen Jürgen Gollwitzer auf seinem Blog foam-rd
Hey there EMCritter:
Here’s what I got for you this week:
We Won (I Think…)
So… ACEP & SCCM both have asked for suspension of the 1-hr Surviving Sepsis Bundle. I can’t say for sure that our petition made this happen, but the EMCrit team is going with that it did. Yeah!!!!!!!! Thank you to all who signed and supported the effort to stop this silliness.
New EMCrit Episode:
EMCrit 234 – Pardon Me, I Couldn’t Help but Overhear or How to go from being an Ass-hole to an AYS-hole on Twitter
What’s EMCrit Reading?
Don’t know how I have never read any Sanderson before, but thanks to my resident, Sully, I am loving it.
That’s all I got!
Talk to you soon.
Scott
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