Ein junger Mann stellt sich am helllichten Werktag in der Notaufnahme vor. Die Akte des Patienten mit den vermutlich weltweit bekannten Post-it’s mit der Diagnose drauf kündigt einen jungen, 28-jährigen Mann an, der “Rückenschmerzen” habe, und das schon seit 10 Tagen. Irgendwann vor 2 oder 3 Wochen hatte er mal eine Bronchitis, jetzt aber habe er seit 10 Tagen Rückenschmerzen.
Ernsthaft? Donnerstag mittag wegen Rückenschmerzen?
Und jetzt geht eine Alarmglocke bei mir an, für die ich keine Evidenz habe, aber die ich mir antrainiert habe und die schon ganz oft hilfreich war: Wenn ich bei dem Blick auf die Akte denke, was soll denn der Mist schon wieder, schaue ich besonders genau und kritisch hin.
Und auch bei diesem Patienten sollte es weiter helfen. Der schlanke, relativ große Patient kommt nämlich um die Ecke in mein Ambulanzzimmer und sieht richtig krank aus. Und Rückenschmerzen hat er sicher nicht. Er hat im Bereich der linken Thoraxhälfte starke Schmerzen, einen ausgeprägten Leistungsknick vor 10 Tagen gehabt und eine relevante Dyspnoe. Der ist richtig krank!
Was sind also die red flags in diesem Falle, die Diagnosen, die unbedingt ausgeschlossen werden müssen?
Klar, ein Klassiker, die Differentialdiagnose des Thoraxschmerzes:
- Herzinfarkt
- Lungenembolie
- Aneurysma/Dissektion
- Pneumothorax
- Mediastinitis/Ruptur
- Lungenentzündung
- harmlosere Ursachen
Und mit der Anamnese ist natürlich der Pneumothorax suggestiv. Also, Ultraschall raus geholt und die Lunge angeschaut, und man sieht sofort auf der linken Seite eine komplett fehlende Atemexkursion (Lungengleiten, hier ein Beispiel über Youtube):
Offensichtlich ein Pneumothorax, theoretisch ist damit der Rest nicht vom Tisch aber doch extrem unwahrscheinlich: gerade angesichts der risikoarmen und untypischen Anamnese. Und schließlich bekommt der Patient noch ein Röntgen Thorax:
Und was kann man erkennen? Den ausgedehnten Pneu, der schon im Sono offensichtlich war.
Was wäre der nächste Schritt?
- Thoraxdrainage?
- Pleuradrainage?
- Punktion und Absaugen der Luft?
- stationäre Aufnahme?
- ambulantes Führen?
Stellvertretend für die verschiedenen Empfehlungen sei hier der Entscheidungsbaum der britischen Thoraxgesellschaft aufgeführt:
Und die Empfehlung ist für den ersten Spontanpneumothorax klar: Luft absaugen und da langt schon eine klassische Flexüle! Wenn es dem Patienten dann besser geht und das sich auch im Bild nachweisen lässt (in unserem Fall war über weite Teile der Lunge wieder ein normales Lungengleiten nachweisbar), kann der Patient nach Hause - vorausgesetzt es werden nicht mehr als 2,5l (nach anderen Quellen auch bis 4 Liter) abgezogen. Verlaufskontrolle in einigen Wochen, und der Patient ist optimal behandelt. Grundsätzlich gilt natürlich den Patienten pneumologisch an zu binden, aber das hat natürlich Zeit.
Wir haben uns in diesem Fall angesichts des ausgeprägten Befundes ein ganz klein wenig anders entschieden: wir haben ihm eine Drainage mit Heimlich-Ventil (kommerzielle Seite, keine Unterstützung unsererseits, allerdings leicht verständliches Bildmaterial) verpasst, die er problemlos ambulant tragen konnte. 24h nach Komplettremission (ich kann hier den Verlaufsultraschall nur empfehlen, kein CT der Welt kann nach meinem Wissen Schaum in der Pleura darstellen….) kam das Ding raus, und der Patient lebte glücklich bis an sein Lebensende und hatte nie wieder Luftnot.
Oder doch?
Fortsetzung folgt….