Erst essen, dann entscheiden …

Ärzte sind ja rationale Menschen.
Wir entscheiden nach den Daten, die wir erheben, an Hand der Resultate von Untersuchungen und der Befunde und Anamnese, die wir erhoben haben. Alle Patienten sollen die gleiche, gute Behandlung erfahren, wie alle Anderen auch. Ich gebe mir auch jeden Fall Mühe, so gut und so rational wie möglich bei Diagnostik und Therapie zu handeln. Genauso verfahre ich auch nach der Indikation zu stationären Aufnahme oder ambulanten Entlassung oder Untersuchung an Großgeräten. Entscheidend ist die medizinische Indikation an Hand rationaler Kriterien. Das wird unterstützt durch Leitlinien, SOP’s, Empfehlungen von Fachgesellschaften und so weiter und hilft innerhalb robuster Leitplanken sicher richtig zu entscheiden.
Diese Erwartung habe ich auch an meine Kollegen und aber auch an andere Berufsgruppen, wie zum Beispiel Richter in Berufungsverfahren.
…da hab ich doch jetzt grade einen Artikel gelesen, der in D. Kahneman’s Buch Thinking fast, thinking slow erwähnt wird.
Die Entscheidung israelischer Berufungsrichter in Berufungsverfahren zur Haftentlassung wurde untersucht im Bezug auf ihre Frühstücks- und Mittagspause.
Das komplette Berufungsverfahren ist streng reguliert, die äußeren Faktoren kontrolliert, die Reihenfolge der Fälle komplett zufällig und nicht von außen zu beeinflussen und die Schwere der Straftaten in Gesamten vergleichbar. Trotzdem konnte im Tagesverlauf festgestellt werden, daß die Chance für eine Berufung zugelassen zu werden mit dem Abstand zur letzten Mahlzeit des Richters sank.
Mahlzeit
Die Bubble sind die Essenspausen, unabhängig zu welcher Uhrzeit sie stattfanden.
Ist das nicht ungerecht?
Wie ist das erklärbar? „Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand“, so heißt es ja. Wollen wir hoffen, daß der Richter grade was gegessen hat, wenn Du dran bist. Eine „rationale“ Erklärung liefert der Artikel nicht, er sagt bloß, das auch unter äußerlich kontrollierte Bedingungen formal rein rationale Entscheidungen unter irrationalen Einflüssen stehen können.
Meine Gedanken richteten sich dann an meine eigene Entscheidungsfindung im klinischen Alltag. Bin ich wirklich so rational, wie ich glaube zu sein? Fußen meine Indikationen wirklich nur auf den Daten, die ich erhoben habe? Entscheide ich über stationäre Aufnahme oder ambulante Versorgung wie ein Berufungsrichter in Israel? Wann habe ich das letzte Mal gegessen?
Wann hast Du das letzte Mal während der Schicht gegessen? Gehst Du regelmäßig in die Kantine? Kann man einen klinischen Notfallmediziner an der Einlasspforte eines Krankenhauses überhaupt mit einem Berufungsrichter am Gefängnistor vergleichen???
Alles irrational.
Da fällt mir nur noch ein: Fünf kleine Mahlzeiten am Tag sollen gesund sein. Vielleicht sollte man sich wenigstens die Zeit für ein paar davon auf der Arbeit nehmen.
 
 
 
 
Danziger S. et al. Extraneous factors in judicial decisions. PNAS  2011 vol 108  no. 17 6889 -6892  http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1018033108
 

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