The Big Sick 2019 – Tag 2

Willkommen zurück bei „The Big Sick“ – der kleinen, familiären Konferenz mit dem Fokus auf die ersten Stunden der prä-klinischen und klinischen Versorgung von schwerkranken und schwerverletzten Patienten – den ersten Tag haben wir bereits hier zusammen gefasst.
Der Zweite Tag von The Big Sick 2019 in Zermatt bestand aus den beiden Sessions Circulation und Bleeding, wobei letztere Session vom THOR Network unterstützt wurde. Das THOR Network ist ein Netzwerk von Mediziner*innen und Forscher*innen die sich zum Ziel gemacht haben das Outcome nach einem hämorrhagischen Schock durch Optimierungen in der Akutbehandlung, insbesondere durch Blutprodukte – hier whole blood, also das in Deutschland praktisch nicht mehr anzutreffende Vollblut – zu verbessern.
Auch die Aufnahmen vom zweiten Tag von The Big Sick 2019 könnt ihr wieder online einsehen: 

Circulation am Vormittag: 

Bleeding am Nachmittag: 

Vormittag: Circulation

KONTROVERSEN IN DER REANIMATION
Charles Deakin ist nicht nur Professor of Resuscitation science and Emergency Medicine, sondern auch Mitglied des ILCOR und Co-chair von ILCOR ALS CoSTR in 2005 und 2010. Somit ist er, wie er selbst scherzhaft meinte, für alles was wir an den Guidelines mögen, aber vor allem für das was wir hassen, (mit) verantwortlich. Noch zu erwähnen ist das er Mitglied der Trial Management Group von PARAMEDIC2 und AIRWAYS2 war.
Mit dem Titel des Vortrages spricht er auch das große Problem der Notfallmedizin an, eigentlich ist alles kontrovers was wir machen. Der Großteil basiert auf Experten -Meinungen, “best practice”, und nicht auf eigentlicher Evidenz. 
In seinem Vortrag, der wenn man wollte auch die ganzen drei Tage der Konferenz hätte füllen können, ging er auf die folgenden fünf Punkte ein: 
Die Rettungskette für den Out-Of-Hospital-Cardiac-Arrest (OHCA) 
Charles ermahnt: bei allen tollen hightech Innovationen die wir auf The Big Sick besprechen, liegt das größte potential in den ersten Ringen der Rettungskette für den Out-Of-Hospital-Cardiac-Arrest (OHCA). Ein größerer Fokus muss auf das Training von Laien gelegt werden. Doch auch besonders durch den Einsatz von Apps wie “GoodSam”, mit denen Ersthelfer in der Nähe alarmiert werden können, wird man langfristig eine größere Überlebenschance erreichen. Charles Meinung nach kann die Laienreanimation die Überlebenschance verdoppeln, wenn nicht sogar verdreifachen.


mCPR – mechanische Reanimation mit Reanimationsgeräten
Die klassische Reanimation ist Charles Meinung nach oft schlecht durchgeführt und verschlechtert sich durch Erschöpfung der Helfer*innen. Wenn auch in Tierstudien die mCPR der manuellen Reanimation überlegen war, so gibt es in vivo keine Evidenz für eine bessere Reanimation durch Reanimationsgeräte. Auch gibt es keine Evidenz dass das eine Reanimationsgerät dem Anderen überlegen ist. Charles merkt an, dass er persönlich ein großer Fan der mCPR ist, besonders (verständlicherweise) für den Transport. 


Adrenalin in der Reanimation
Seit 1993 geben wir das Adrenalin in 1 Milligramm-Schritten. Mit dem PARAMEDIC 2 Trail gibt es nun endlich eine große randomisierte Studie zum Adrenalin. Stichpunktartig kann man vier Aussagen von Charles über die Ergebnisse des PARAMEDIC 2 Trail zusammenfassen: 

    • Zweidrittel der Patient*innen erreichen ROSC mit Adrenalin 
    • 30 Tage überleben: 50% mehr Patient*innen des Studienarmes, der Adrenalin bekommen hat, überleben 
    • Auch hat der Studienarm mit Adrenalin mehr Patient*innen, die neurologisch intakt sind
    • Ein schlechtes neurologisches Outcome haben 31% im Studienarm mit Adrenalin und 17,8% in dem Studienarm ohne Adrenalin
      • ➡ D.h. 1/120 Patient*innen wird ein schlechteres Neurologisches Outcome mit Adrenalin haben.

Insgesamt vermutet Charles, dass wir eventuell zuviel Adrenalin geben, die Vasokonstriktion könnte dazu führen, dass die Erythrozyten schlechter in das Gehirn kommen. Vielleicht gehen wir bald zum “Epidrip” über?


Double Sequence Defibrillation
Therapierefraktäre VF ist recht häufig, dass Problem mit Double Sequence Defibrillation ist nach Charles Einschätzung, dass ein eindeutiger study bias vorliegt: es werden nur Fälle berichtet bei denen die DSD auch funktioniert hat. Persönlich schätzt Charles die 360J die uns bei den meisten Defibrillatoren zur Verfügung stehen, als ideal an. Auch weist er darauf hin, dass in einer Fallstudie bei der DSD ein Defibrillator zerstört wurde durch den Schock des zweiten Defibrillators. Doch warum funktioniert die DSD wahrscheinlich in den Fallstudien, die über ein positives Outcome berichten? Charles vermutet, dass die zweiten Pads, die angebracht werden, eventuell besser platziert sind als die initialen Pads. Er mahnt dazu bei therapierefraktärem VF die Pads nochmals neu aufzukleben. Als Tip gibt er uns mit, dass die laterale Elektrode dorthin kommt, wo wir sonst die V6-Elektrode im 12-Kanal EKG positionieren. 


 
Hypothermie
Da sich im Publikum genug Expert*innen zur Hypothermie befinden und auch noch ein Talk dazu folgte, begrenzt sich Charles auf drei Punkte: 
Es schützt das Gehirn, Cochrane hat weder einen Vorteil noch einen Nachteil feststellen können, er persönlich hält es für positiv und hält seine Patient*innen eher etwas kühler (Empfehlungen:32-36°C für 24h). 


Zusammenfassend  erwartet Charles keine größeren Veränderungen für die 2020er Guidelines. Relevantes Hindernis ist, dass jeglicher Fortschritt durch die fehlende Evidenz gelähmt wird.
PRÄ-KLINISCHE REBOA FÜR NICHT-TRAUMA PATIENT*INNEN IM RAHMEN DER REANIMATION 
Jostein Brede präsentiert ein Konzept, welches sich auf den ersten Blick sehr logisch anhört, allerdings fragt man sich doch recht schnell, warum er nicht gleich eine ECMO anschließen möchte. Darauf hat er eine gute Antwort: REBOA ist einfach. Zumindest einfacher als eine ECMO anzuschließen. Jostein arbeitet in einem HEMS System in Norwegen mit ziemlich großen Distanzen. Für ECMO fehlen ihm und seinen Kolleg*innen die Erfahrung aus der Klink. Eine Zone 1 REBOA könnte eine gute Alternative zur Prä-klinischen ECMO in Reanimationspatient*innen darstellen. Im Rahmen seines PhD will er dies nun erforschen. Dafür führt er einen Beobachtungsstudie durch. Alle HEMS Ärzt*innen und Paramedics durchlaufen dafür ein strukturiertes Trainingsprogramm. Erste Ergebnisse zeigen einen Trend auf: der EtCO2 steigt sofort nach der Platzierung der REBOA und der Rythmus verändert sich ebenfalls oft. Es gibt Überlebende sogar nach über einer Stunde Reanimation und eine höhere ROSC Zahl im Vergleich zur Standardtherapie. Somit können wir sehr gespannt auf seine Ergebnisse sein. 


Nachmittag: Bleeding with the THOR Network
Das THOR Network wurde durch Spinella und Strandenes gegründet. Spinella ist eigentlich Pädiater, doch mittlerweile einer der führenden Persönlichkeiten im Bereich Bluttransfusionen. Praktisch gesehen hätte er kaum darüber berichten brauchen, dass er im Irakkrieg als Arzt der US Army gearbeitet hat, denn bereits bei der Militärischen Begrüßung mit einem Bierkrug in der einen Hand und einem Presenter in der anderen, wurde uns allen klar, dass die nächsten vier Stunden voll mit Passion und Kontroversen ausgefüllt werden. Die Talks waren sehr interessant, jedoch auch sehr gegensätzlich insbesondere mit dem Vortrag von Benedikt Lorenz am ersten Tag. Als Laie im Bereich Transfusionsmedizin bin ich nach den beiden Tagen noch mehr verunsichert was die richtige Strategie ist. Das THOR Network überzeugte mit Passion, catchy phrases und viel Hintergrundwissen und Studien, dass zumindest in der Akutsituation die Lösung whole blood, also nicht in seine Bestandteile getrenntes Blut wie Erys, Thrombos oder Plasma, für akut instabile, traumatische Patienten ist. Bevor wir hier noch viel schrieben, macht ihr Euch am besten selbst ein Bild.


Abend: Käsefondue und Nerdtalk 
Das Käsefondue im Hotel Alex ist dann quasi jetzt schon Tradition. Nach der vierstündigen THOR Session gingen wir gemeinsam in das Restaurant. Wir als Team von dasFOAM hatten das Glück, dass der einzigartig Cyrus P. Olsen III mit uns am Tisch saß. Als Philosoph und Professor für Geisteswissenschaften und Religionswissenschaften war es eine willkommene Abwechslung zum Nerdtalk (dass ich das mal sagen würde 🤔). Mit ihm und Notfallmediziner*innen aus Frankreich, Dänemark, USA und Großbritannien diskutierten wir über Hoffnung und kulturelle Unterschiede in der Medizin.


Nach dem Fondue ging es wieder in die Alex Bar, wo neben einem Tourniquet Workshop viele spannende Gespräche unter Gleichgesinnten stattfanden. Viel wurde über die aktuellen “Studienstars” der Präklinik gesprochen: PARAMEDIC-2, AIRWAYS-2 oder die PART Studie. Doch wurde sich auch rege über ECMO, Koagulation und REBOA unterhalten. Insgesamt ein toller Mix quer durch die innerklinische und präklinische Notfallmedizin. Um 1:30 Uhr hieß es dann für die meisten sich zurück in ihre Hotels zu bewegen. Schließlich steht am Freitag ab 8 Uhr der nächste Block über “Extremes” an, sowie eine Trainingssession mit Air Zermatt am Nachmittag. 

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