Der Wendltubus – Mythbusted!

Der Wendltubus, sagenumwoben hilfreich, meist jedoch eher ganz unten im Notfallrucksack/-wagen zu finden.
Durch eine gute Compliance bei soporösen Patient*innen und relativ simple Einlagetechnik besitzt einen wesentlichen Vorteil gegenüber dem Guedeltubus. Trotzdem findet er vielerorts kaum Verwendung.

Doch wie steht es um die Evidenz?

Bereits vor rund 14 Jahren ist ein Review zum Wendltubus im EMJ erscheinen: 
Roberts K, Whalley H, Bleetman A The nasopharyngeal airway: dispelling myths and establishing the facts Emergency Medicine Journal 2005;22:394-396. 
Das Paper kann auch als open access auf der Seite des EMJ eingesehen werden, der Inhalt ist brisant und zeigt einmal wieder, wie lange es dauert bis “neue” Erkenntnisse in der Praxis und auf Papier umgesetzt werden. 

Intrazerebrale Platzierung des Wendltubus

Die Warnung vor einer intracerebralen Platzierung bei Patient*innen mit einer Schädelbasisfraktur scheint auf den ersten Blick sinnvoll zu sein. Das Siebbein (Os ethmoidale) ist an der Durchgangsstelle der Fila olfactorii stark perforiert: Vorteilhaft für Hypophysenoperationen, jedoch ebenso nachteilig bei unseren Traumapatient*innen. Durch eine hier vorhandene Fraktur bzw. Instabilität könnte ein Wendltubus fälschlicherweise im Hirnschädel platziert werden – so wird es zumindest häufig in der gängigen Ausbildungsliteratur erwähnt.

Os ethmoidale mit der lamina cribrosa in einer Ansicht von kranial, hier markiert mit einem blauen Dreieck. 

Roberts et al. sind hier jedoch anderer Meinung: 2005 führten sie eine Medline-Suche mit dem Keyword “Nasopharyngeal Airway” durch und fanden 494 Ergebnisse, welche sie in dem oben genannten Review untersuchten. Berichte über eine intrazerebralen Platzierung eines Wendltubuses fanden sie nur zwei. Und heute, knappe 14 Jahre später, sind mir bei einem kurzen PubMed-Suchlauf lediglich vier weitere Fallberichte untergekommen: 
Swanson, Kyle I., et al. “Iatrogenic Intracranial Placement of Nasopharyngeal Airway after Trauma.” British Journal of Neurosurgery, vol. 30, no. 4, 2016, pp. 448–449., doi:10.3109/02688697.2015.1133804.
Steinbruner, D., et al. “Intracranial Placement of a Nasopharyngeal Airway in a Gun Shot Victim.” Emergency Medicine Journal, vol. 24, no. 4, 2007, pp. 311–311., doi:10.1136/emj.2007.046490.
Ellis, D Y, et al. “Intracranial Placement of Nasopharyngeal Airways: Is It All That Rare?” Emergency Medicine Journal, vol. 23, no. 8, 2006, pp. 661–661., doi:10.1136/emj.2006.036541.
Martin, Jonathan E., et al. “Intracranial Insertion of a Nasopharyngeal Airway in a Patient with Craniofacial Trauma.” Military Medicine, vol. 169, no. 6, 2004, pp. 496–497., doi:10.7205/milmed.169.6.496.
Summa summarum sechs Zwischenfälle in rund 15 Jahren legen nahe, dass Komplikationen deutlich seltener sind als angenommen, fast schon in verschwindend geringer Zahl auftreten – entsprechend empfehlen auch die Autoren des Reviews, in der Ausbildung am Wendeltubus zukünftig die richtige und sichere Einlage zu priorisieren, anstatt weiterhin auf Kontraindikation bei Traumapatient*innen zu pochen.
DY Ellis et al. schrieben daraufhin 2006 einen Leserbrief an das EMJ: sie berichteten über einen Patienten mit einer intracerebralen Platzierung eines Wendltubus und stellten die vorher erwähnte, niedrige Inzidenz in Frage:

“This (only two case reports) may be true, but how many instances of intracerebral NPA placement occur, but are not published? Once a complication has occurred and been reported in a journal, further similar case reports are less likely to be submitted because it is no longer a novel complication.”

Zu deutsch: Was, wenn es deutlich mehr Zwischenfälle gibt, die aber nicht publiziert werden? Wenn eine Komplikation bereits in einem Journal  beschrieben worden ist, besteht die Möglichkeit dass deutlich weniger ähnliche Fälle veröffentlicht werden (da das Problem ja schon bekannt ist).
Sie stimmen jedoch den Autoren zu, dass definitives Airwaymanagement Priorität hat. Trotzdem erhalten Patient*innen mit jeglicher Art von Kopfverletzungen häufig keinen Wendeltubus – besonders diejenigen, bei denen eine Schädelbasisfraktur klinisch nicht ausgeschlossen werden kann.

Abmessen des Wendltubuses

Typischerweise wird der Tubusdiameters anhand des kleinen Fingers oder des Diameters der Nasenlöcher abgemessen, dass ist recht simple durchzuführen, jetzt aber die Enttäuschung: Es gibt keine Evidenz dafür.
Roberts K. zitiert u.a. sein eigenes Paper welches er 2003 in Resuscitation veröffentlicht hat, er erstellte mit einem Kollegen MRT Bilder von 10 Proband*innen und kalkulierte den theoretisch größt möglich einzulegenden Tubusdiameter. Es wurde keine Korrelation zwischen kleinen Fingerdiameter oder Nasenlochdurchmesser und dem tatsächlich einführbaren Wendltubusdiameter gefunden. In einem Nebensatz wird noch erwähnt das eine Korrelation berechnet werden konnte bei der medial-lateralen Distanz des DIP Gelenkes und dem Durchmesser des Wendeltubuses. In Realität wird dies wohl eher unpraktisch sein.
Bevor wir zur Lösung des Problems kommen, müssen wir uns erst einmal anschauen wo ein gut platzierter Wendltubus liegen sollte. Laut Stoneham, der mit einer Studie aus dem Jahr 1993 zitiert wird, sollte die Spitze des Wendeltubuses idealerweise 10mm vor der Epiglottis liegen und den weichen Gaumen (Palatum molle) und die hintere Pharynxwand voneinander trennen. Wird der Wendltubus zu weit eingeführt, landet die Spitze entweder im Larynx und löst möglicherweise einen Würgreflex aus oder wird durch Gewebe obstruiert. Wenn der Wendltubus nicht weit genug eingeführt wird, ist die o.g. Separation von Palatum molle und der hinteren Pharynxwand nicht möglich. 
Somit kommt es mehr auf die Länge als auf den Diameter des Wendltubuses an. 
Stoneham ermittelte in seiner Studie die Distanz zwischen äußerem Nasenloch und Epiglottis in 120 Erwachsenen und fand eine Korrelation zwischen der Patient*innen Größe und der Nasenloch-Epiglottis-Distanz. 
Daraus können die folgenden Abmessungsempfehlungen gegeben werden (Tab. 1 in Roberts et al.):

Alle Angaben sind ohne Gewähr und müssen der klinischen Situation angepasst werden. Größen für den Portex Wendltubus wurden aus dem Review übernommen, die Umrechnung auf die weit verbreiteten Rüsch Wendltuben erfolgte mittels Herstellerangaben. und geht von einer Tubuslänge von 15cm aus.
Auch für Säuglinge wurde in dem Review Empfehlungen gegeben. Eine Studie vergleiche in 413 Säuglingen den Abstand zwischen dem äußerem Nasenloch und den Stimmbändern, wieder konnte ein Nachweis erbracht werden das es einen Zusammenhang zwischen jeweils Patient*innen Größe und Nasenloch-Epiglottis-Distanz sowie der Distanz zwischen Nasenspitze und Ohrläppchen gibt.
Wichtig zu beachten ist jedoch beim ermitteln der Einführlänge mittels Nasenspitze-Ohrläppchen-Distanz bei Säuglingen, dass der Wendltubus geringfügig weniger, als die zuvor abgemessene Nasenspitze-Ohrläppchen-Distanz, vorgeschoben werden sollte.
Zur groben orrientierung bei Säuglingen und Kleinkindern dient die folgende Tabelle (Tab. 2 in Roberts et al.):

Einlegen des Wendltubuses

Hier nochmal die wichtigsten Kernausagen des Reviews zusammengefasst:

  • A-Problem vor D-Problem: Wenn es keine Alternative gibt, kann ein Wendeltubus auch bei Traumapatient*innen nach klinischer Indkiation verwerndet werden.
  • Es kommt auf die Länge, nicht den Diameter des Wendltubuses an, hierfür die Abmessungsempfehlungen in der ersten Tabelle beachten.
  • Bei Säuglingen sollte der Wendltubus geringfügig weniger als zwischen Nasenspitze und Ohrläbchen abgemessen eingeführt werden.
  • Nasenspitze nach kranial ziehen und den Wendltubus am unteren Nasengrund (Platum durum) entlang einlegen anstatt entlang des Siebbeins mit der lamina cribrosa. 
  • Gleitmittel verwenden
  • Leichte Rotationsbewegungen beim einführen
  • Wenn ein Widerstand beim einführen des Wendltubuses spürbar ist, sollte dieser zurück gezogen werde und das andere Nasenloch verwendet werden. 
  • Der Wendltubus sollte mittels des Plastikrings vor verrutschen gesichert werden. Wenn dieser nicht Vorhandensein sollte, kann eine Sicherheitsnadel quer durch den Tubus gesteckt werden.
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6 Kommentare

  1. Schön geschrieben, danke dafür.
    Ich bringe den Leuten immer ganz lapidar die Indikationsstellung bei: „Wer nicht intubationspflichtig ist, aber einen Wendltubus toleriert – der braucht auch einen.“ Das hält zwar vermutlich einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, aber es verdeutlicht ganz gut, in welchen Situationen er angewendet werden kann/sollte.

  2. Wie sind die Abmessungsempfehlungen wie „CH 26 – 3 cm“ und „CH 26 – 2 cm“ zu verstehen?
    Mir ist nicht bekannt das zwei unterschiedliche Modelle angeboten werden …

    1. Hej Max, Wendltuben gibt es in verschiedenen Größen. Hier meint der Autor jedoch, dass ein 26 Ch Wendltubus genutzt werden soll (also beide Male die gleiche Größe) aber 3 bzw. 2 cm außerhalb der äußeren Nasenöffnung verbleiben sollen – bei vielen Modellen gibt es dazu einen verschiebbaren Ring damit das Ding auch auf der richtigen Position hält und nicht zu tief rein rutscht. Bei anderen Modellen hilft die besagte Sicherheitsnadel als „Stopper“. Die Angabe ist also sozusagen als „Gesamtlänge minus X cm“ zu verstehen.

  3. Ich platziere postoperativ gern den Beatmungsfilter auf dem Ende des Wendeltubus. Am Beatmungsgerät kann man dann wunderbare sehen, wie effektiv der Wendeltubus den Atemweg offenhält und wie gross das Tidalvolumen ist.
    Einer sicheren Fahrt in den Aufwachraum steht dann nichts mehr im Weg.

  4. Mich beschäftigt seit ich den Artikel gelesen habe die Frage, ob die Abwesenheit dokumentierter Fälle auf die Abwesenheit tatsächlicher Vorkommnisse schließen lässt. Ich tendiere aus mehreren Gründen eher zu Nein. Mir scheint einleuchtend, dass bereits publizierte Fälle seltener dazu führen, dass ähnliche Fälle nochmals publiziert werden. Ein weiterer Grund für eine mögliche Abwesenheit tatsächlicher Fälle scheint mir aber vielmehr zu sein, dass explizit gelehrt wird, dass das SHT eine Kontraindikation zur Einlage des NPA darstellt. Ebenfalls möchte ich zu bedenken geben, dass SHTs mit GSC >8 tendenziell vermutlich eher keinen NPA benötigen, da der Grundtonus noch ausreichend ist. Patienten mit GCS 8 bzw bei Patienten mit GCS <9 bis zur Intubation) für eine erwägenswerte Maßnahme in der paramedizinischen Traumaversorgung.
    *Achtung, viel persönliche Meinung*

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