Der Sellick-Handgriff

Einleitung

Ausgehend von einem Tweet (s.u.) vor einigen Monaten hat es mich mal wieder dazu getrieben ein paar Methoden wissenschaftlich auf den Zahn zu fühlen und die Historie sowie aktuelle Studienlage zu eruieren.


Zur Einleitung, der Sellick Handgriff, auch bekannt als Krikoiddruck, ist eine Methode die dabei helfen soll Aspiration bei der Intubation zu vermindern, insbesondere bei nicht nüchternen Einleitungen (Ileus- oder RSI- Einleitungen). Sie wurde viele Jahre aktiv genutzt und ist teilweise auch heute noch gebräuchlich.
Der Handgriff wurde in die moderne Medizin eingeführt und untermauert durch eine Studie aus dem Jahr 1961, durchgeführt von einem Anästhesisten in einem Krankenhaus mit 26 Patienten in der Studie. Dort wurde radiologisch nachgewiesen das man mit der Technik den Ösophagus komprimieren kann.
Der Ursprung ist jedoch noch deutlich älter, Dr. William Cullen aus Edinburgh schrieb einen Brief  über das wiederbeleben von Opfern von Ertrinkungsunfällen an den Polizeichef von Schottland – 1776. Dort findet man auf Seite 18 die Erwähnung des Krikoiddrucks. Eine fast 250 jährige Geschichte also.

Kritik und Studienlage

 Kritik an dem Handgriff gibt es schon länger, auch wenn beispielsweise 2008 im ‘British Journal for Hospital medicine’ noch das Fazit gezogen wird es sei eine “Schwierige, aber ungefährliche Handlung, die richtig angewendet die Patienten vor Regurgitation und Aspiration schütze”, so gab es zu der Zeit schon erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit.
In den letzten 20 Jahren ist der stete Rückgang der Praxis jedoch eindeutig, die aktuellste und wohl umfassendste Studie erschien im Oktober 2018 im JAMA Surgery Journal . Darin wurden 3472 Patienten in zwei Gruppen verglichen, mit einem standardisierten Sellick Handgriff oder mit einem Placebohandgriff. Dazu wurde der Halsbereich jedes mal verdeckt, sodass außer der durchführenden Person niemand wusste, in welcher Gruppe man aktuell war. Die Studie wollte nachweisen, dass die Imitation nicht schlechter ist als der echte Handgriff. Der Nachweis konnte leider nicht erbracht werden, dafür waren insgesamt die Aspirationsraten mit 0,5% sehr gering, was deutlich unter der vermuteten Zahl von 2,8% lag.
Die Studie ist sehr sauber aufgebaut und hat dementsprechend versucht möglichst viele Bestandteile zu standardisieren (Nur Succinylcholin erlaubt, mindestens ein Risikofaktor zu ‘nicht nüchtern’ zusätzlich etc.) um nur den Faktor des Handgriffs zu werten. Als primärer Endpunkt wurde das Auftreten einer Aspiration genommen, die Überwachung endete nach 28 Tagen. Die wichtigsten Eckpunkte auf eine Tabelle reduziert ergeben ein interessantes Bild:
 

Faktor: Sellick (n=1729) Placebo (n=1730)
Aspiration 10 9
Zeit bis zur Intubation in Sekunden (median) 27 23
Anzahl Intubationen > 30 Sekunden 792 677
Schwierige Intubation 72 (4%) 51 (3%)
Mehr als 2 Intubationsversuche 51 39
Alternative Intubationstechnik 31 21
Unterbrechung des Handgriffs 246 86
Verbesserung durch Unterbrechung 152 28

Man kann an den Daten gut sehen, dass zwar insgesamt der Nachweis, dass die Methode ohne Sellick besser ist, nicht erbracht werden konnte, aber einzelne Werte sind auffällig. Gerade wenn man sich die Unterbrechung des Handgriffs – normalerweise wegen schlechter Sicht durch die Verschiebung der Anatomie –  anschaut und die daraus resultierte Verbesserung der Intubationssituation ist es auf jeden Fall realistisch anzunehmen, dass die Bedingungen durch den Handgriff spürbar schlechter werden, ohne dass es einen nachweisbaren Vorteil gibt.
Zusammenfassend gibt es keine Evidenz, dass der Handgriff hilft, allerdings auch keinen Nachweis dass er schadet, aber Hinweise darauf.
Man muss bedenken, dass die Studie unter optimalen Bedingungen im Krankenhaus durchgeführt wurde, von erfahrenen Teams mit mehrjähriger Erfahrung. Dort kann mit einer verlängerten Intubationszeit und schlechteren Bedingungen gut umgegangen werden. In Notfallsituationen draußen auf der Straße ist es deutlich gravierender wenn es Komplikationen wie schlechtere Sicht und dadurch längere Zeit zur Intubation gibt. Das hat die Studie nicht untersucht (und wäre in dem sauberen Aufbau auch kaum leistbar).
Unter Klinischen optimalen Bedingungen kann man nicht nachweisen das es schädlich ist, aber es gibt keinen Nachweis eines Nutzens. Deswegen ist es nicht zu empfehlen eine Person dafür abzustellen. Es gibt auch noch gute Nachrichten, so wurde das BURP Manöver (Backwards Upwards Rightwards Pressure), das bei der Intubation das Auffinden der Glottis erleichtert und heute zum Standardrepertoire gehört, aus dem Sellick Handgriff abgeleitet.
Wieso hat die Methode so lange überlebt, obwohl die Evidenz fehlte? Es gab zwar Zweifel, aber es fehlte eine Alternative.  K. Naik und C. Frerk diskutieren , dass paratrachealer oder paralaryngealer Druck eventuell eine Alternative darstellen könnte, die wenig Nebenwirkungen hat und sogar besser funktioniert – allein dafür fehlt natürlich auch ein Nachweis, der über die gemessene Kompression des Ösophagus hinaus geht, keine Studie hat dies bisher im realen Umfeld getestet.
Mediziner wollen im Großen und Ganzen das Beste für ihre Patienten. Einen vermeintlichen Sicherheitsfaktor weg lassen, ohne diesen zu Ersetzen, fällt vielen sehr schwer. Dabei ist die Kunst nur genau so viel zu tun wie nötig und eben nicht mehr, ein wichtiger Grundstein in der Medizin. “Primum non nocere” – gerne auch durch Unterlassen.

Fazit:

Wenn man sich fragt ob man den Handgriff anwenden sollte, ist bei einer Gleichwertigkeit mit nichts tun und gleichzeitig möglicherweise erschwerteren Intubationsbedingungen ein klares “Nein” die Antwort. Dies ist ein schönes Beispiel, um sich klar zu machen, dass die Medizin noch immer ein vergleichsweise junges Fachgebiet ist und durch mangelnde Evidenzorientierung, aber auch durch kleine Studien mit schlechtem Design sehr einfach in feste Bahnen gelenkt wird und dann die altbekannten Mechanismen “Das haben wir schon immer so gemacht” greifen.
 
Quellen:

Dr. William Cullen A Letter to Lord Cathcart, President of the Board of Police in Scotland, Concerning the Recovery of Persons Drowned and Seemingly Dead  London: 1776, Seite 18 http://special.lib.gla.ac.uk/teach/Cullen/letter.html

https://www.magonlinelibrary.com/doi/abs/10.12968/hmed.2008.69.3.28763

JAMA Surg. 2018 Oct 17. doi: 10.1001/jamasurg.2018.3577

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30311631
 
 
 

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