Erfahrungen in der Trauma-Unit in Johannesburg

Als Notfallmediziner liegt einem das Improvisieren ja sehr nahe, schließlich bastelt man sich täglich eine Facharztweiterbildung, die es noch gar nicht gibt. Das führt allerdings dazu, dass man selbst darüber nachdenken muss, welche Inhalte und Skills man benötigt, da nicht alles in einem Fachbereich erlernt werden kann. Mein Weg hat mich bis jetzt relativ weit an primärer Traumaversorgung vorbeigeführt (Innere, ZNA, Anästhesie, Intensivmedizin). Klar, hier und da mal ein Schockraum, aber nie als derjenige, der den Hut auf hat. Nun möchte ich mir grundlegende Trauma-Skills aneignen.

Deshalb also vier Wochen Trauma in Johannesburg. Um genau zu sein in der Chris Hani Baragwanath Trauma Unit. (WikipediaDa viele meiner Kollegen ähnliche Pläne im Kopf herumspuken haben, werde ich hier ein wenig über meine Planung und den eigentlichen Aufenthalt berichten.

Vorbereitung

Folgende Artikel fand ich zur Vorbereitung hilfreich:

  1. Dokumentation von Al Jazeera (ziemlich alt, aber gut) (Teil 2)

  2. Martin Fandlers PJ-Bericht (PDF) und Blog

  3. Die Blogposts von Robert Lloyd (bei PonderingEM und St Emlyns)

  4. Diverse Artikel auf St Emlyns, insbesondere der von Claire Bromley

Update 04.10.2019: Inzwischen habe ich noch zwei weitere interessante Artikel auf den Seiten der Bundeswehr gefunden.

  1. Als Assistenzärztin der Anästhesie im drittgrößten Krankenhaus der Welt – Das Trauma Fellowship Programme
  2. Nachwuchsschmiede Soweto – Zwei unterschiedliche Wege zum Sanitätsdienst der Bundeswehr

Es gibt drei Themen, auf die ich mich in der Zeit hier konzentrieren wollte:

  1. Trauma Resus allgemein – wie funktioniert die praktische Umsetzung dessen, was ich bis jetzt theoretisch gelernt habe. Also strukturierte Abarbeitung von Trauma-Notfällen nach cABCDE.

  2. Manuelle Fähigkeiten – Hauptsächlich Thoraxdrainagen, aber gerne auch alles andere.

  3. Stress Inoculation bzw. Stress Exposure Training

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber je instabiler der Patient ist, desto höher ist mein Puls. Mit der Zeit und Erfahrung ist es deutlich besser geworden, aber zufrieden bin ich noch nicht. Ich will in solchen Situationen funktionieren. Nun bringt es nichts, wenn man sich einfach ohne Planung stressigen Situationen aussetzt und hofft, dass alles besser wird.

Effektiver ist es, sich im Klaren darüber zu sein, was einen erwartet und vorher schon zu üben, die körperliche Stressreaktion zu kontrollieren. (Dazu gehört auch, sich Bilder/Videos mit Schwerverletzten anzusehen, die eigene Reaktion darauf zu beobachten und dann die gelernten Skills anzuwenden.) Hier eine kleine Auswahl an Quellen zum Thema Stress in der Notfallmedizin:

Das Krankenhaus

Riesig, unübersichtlich, laut. Ein Moloch mit über 3000 Betten, der als einziges öffentliches Krankenhaus den Stadtteil Soweto mit seinen (offiziell) 1,7 Mio Einwohnern versorgt. Trotzdem geht hier alles mit einer an Lethargie grenzenden Entspanntheit zu, alles gemächlich und der Reihe nach. Es dauert nicht lange und man hat sich an den Rhythmus gewöhnt. Wollte ich am Anfang noch schleichende Menschen auf den Gängen überholen, so schleiche ich jetzt im allgemeinen Durchschnittstempo mit. Es ist zu Beginn schwierig, wenn man von zu Hause eine Geschwindigkeit knapp unter Joggen gewohnt ist, aber so stresst man sich hier auf den engen Gängen auch deutlich weniger.

Die Trauma-Unit

Hier gibt es die Station (Ward) mit über 60 Betten (variabel, da manchmal noch Pritschen zwischen die Betten geschoben werden), in der auch beatmete Patienten behandelt werden. Da die Schwestern dort keine Intensivausbildung haben, müssen die Ärzte oft auch pflegerische Aufgaben übernehmen.

Die Ärzte, die es dann machen, haben meist auch keine Intensiverfahrung, sondern lernen es von älteren, die auch keine… usw. Auf der eigentlichen Intensivstation gibt es acht Betten, die immer belegt sind, daher das Ausweichen auf Normalstation. Da auch die Station immer voll ist, werden die stabilsten Patienten als Außenlieger auf andere Stationen gelegt. In der Notaufnahme gibt es den Surgical Pit, von den Interns liebevoll „Clinic“ genannt, weil dort viele Patienten mit Bagatellverletzungen vorstellig werden.

Es werden aber auch Fälle behandelt, die man am liebsten direkt auf die ITS legen würde. Zum Beispiel behandelten die Interns dort einen 10-jährigen Jungen mit Verbrühungen (Grad 2b) von den Brustwarzen bis zur Eichel, der schlicht von seiner toten Haut befreit, verbunden und dann nach Hause geschickt wurde. Analgosedierung wird mit Ketamin unter SpO2-Monitoring durchgeführt.

Dann gibt es noch den Resus-Bereich mit 14 Monitor-Plätzen, an denen auch beatmet werden kann. Am Eingang des Resus steht der LODOX-Scanner, zum schnellen Röntgen des ganzen Körpers. Hier geht es insbesondere um das Erkennen von (Hämato-)Pneumothoraces und Frakturen der großen Röhrenknochen sowie des Beckens. Zusammen mit einem BGA-Gerät und dem Ultraschallgerät war es das an Diagnostik und mehr braucht man eigentlich in der ersten Stunde auch nicht.

In ganz Südafrika kommt es ständig zu geplanten und ungeplanten Stromausfällen, da das System permanent auf Anschlag gefahren wird. Das ganze Krankenhaus hat daher eine Notstromversorgung mit Dieselgeneratoren, nur blöd wenn die für die Notaufnahme dann nicht funktionieren. Gott sei Dank kam bis zur Reparatur nur ein einziger, recht stabiler Patient in den Resus-Bereich. So sieht es dann aus, wenn wenigstens die Notbeleuchtung wieder geht:

Das Weiterbildungsystem in Südafrika

Kurze Infos zu den Akteuren im medizinischen System und was sie in der Trauma-Unit machen.

Students

5 Jahre Studium, zwischendurch zweiwöchige Arbeit in verschiedenen Fachgebieten (mit Nachtdiensten)

  • Den Interns zuarbeiten auf der Station und im Surgical Pit, ggf. Mitarbeit im Resus-Bereich

  • gleiches gilt für internationale Studenten (elective students)

Interns

2 Jahre Internship, mit Rotationen von zwei bis vier Monaten durch alle Fachbereiche

  • Stationsarbeit (Plan durchführen, s.u.), Patienten im Surgical Pit in Eigenregie abarbeiten, in Rücksprache mit den Registrars; Mitarbeit im Resus-Bereich

Medical Officer

Angestellter Arzt eines öffentlichen Krankenhauses, der keine Facharztausbildung durchläuft bzw. auf eine Stelle wartet; kann beliebig lange gemacht werden.

Registrars

5 Jahre Facharztausbildung (in der Trauma-Unit meist Allgemein- oder Gefäßchirurgie) mit Rotationen durch die verschiedenen chirurgischen Units

Junior Registrar (in der ersten viermonatigen Rotation in der Trauma Unit)

  • Stationsarbeit (Plan ausarbeiten), Leitung des Resus-Bereichs in Rücksprache mit Senior Registrar und Consultant

Senior Registrar (in den zweiten vier Monaten)

  • Stationsarbeit (Plan ausarbeiten), Unterstützung der Interns und Junior Registars bei Entscheidungen und schwierigen Prozeduren, alle anfallenden Operationen! (oft alleine)

Consultant = Oberarzt

Trauma-Surgery ist eine Subspezialisierung der Allgemeinchirurgie, daher arbeitet niemand außer den Oberärzten fest in der Trauma-Unit. Da die längste Zeit am Stück vier Monate einer Rotation sind, möge sich jeder selbst überlegen, ob das dazu führt, dass die Leute eher gut behandelt oder eher geschliffen werden. Dazu sei gesagt, dass die Senior Registrars extrem viel praktische chirurgische Erfahrung sammeln können, da sie in ihren 7-8 Calls pro Monat meist durchoperieren, oft auch alleine.

Die internationalen Kollegen

Insgesamt gibt es viele Internationale in der Trauma Unit, die aber alle aus ähnlichen Gründen hier sind. Viele haben das Gefühl in ihrem Heimatland nicht genug praktische Erfahrung sammeln zu können oder möchten pathologische Zustände in ihrer Endausprägung sehen. Die meisten kommen aus der Allgemeinchirurgie, Anästhesie und Notfallmedizin. Es herrscht ein sehr gutes Miteinander und alle haben Lust zu lernen und den anderem aus ihrem eigenen Spezialbereich etwas beizubringen. Ohne die Internationalen könnte die Trauma-Unit ihren Dienstplan nicht aufrechterhalten, da diese 2/3 der (Junior Reg) Dienste besetzen!

Häufige Verletzungsmuster

  1. Stich- und Schnittwunden durch Messer, Schraubenzieher und Macheten (kommen oft Stunden oder Tage später zu Fuß rein, weil’s dann doch bissl zwickt)

  2. Schusswunden, meist durch Kleinkaliberwaffen

  3. Verbrennungen mit kochendem Wasser oder durch Brennmaterial (sowohl akzidentiell als auch durch andere verursacht)

  4. Stumpfes Trauma durch Stöcke, Alltagsgegenstände/Boden, Verkehrsunfälle

Zu Beginn denkt man oft „Wow, was haben die alle für ein Glück“, wenn die Leute mit mehrfachen Schusswunden stabil und Selfie-schießend in die Notaufnahme kommen. Hier ging die Kugel durch den ganzen Oberschenkel um dann innerhalb des Scrotums, aber außerhalb des Hodens zu liegen zu kommen:

Beim folgenden Patienten kam die Kugel hinterm Herzen und direkt neben der Wirbelsäule zu liegen, er hatte „nur“ einen Hämatothorax:

Das sind klassische Beispiele für Survivorship-Bias, da diejenigen ohne Glück irgendwo tot auf einer Straße liegen und nie die Notaufnahme erreichen werden.

Mob justice

Unser Führer bei einer Soweto-Tour antwortete auf die Frage, wie sicher er sich dort fühle: “Very safe, because of mob justice!”

Mob justice bedeutet, dass die Gemeinschaft jemanden bei etwas Unerlaubtem erwischt hat oder zumindest glaubt, dass er es getan hat. Danach wird er mit Stöcken solange verprügelt bis er bewusstlos und fast tot ist. Manchmal ist er dann auch tot. Verletzungsmuster sind multiple Knochenbrüche, meist im Gesicht, mit Weichteiltrauma (und oft folgender Rhabdomyolyse) sowie SHT.

Fall „Justice“

Ein junger Mann wurde als “GSW to the head” (GSW = Gunshot wound) angekündigt und kam noch mit GCS 13/15 in den Resus-Bereich. Da er sofort eintrübte, wurde er intubiert und im cCT sah man dann eine massive Hirnblutung ohne Therapieansatz und zwei Kugeln nahe der Hirnbasis. Bei der Untersuchung der Wunden fiel auf, dass zwei Einschusslöcher direkt nebeneinander oben auf dem Kopf etwas links der Mittellinie vorhanden waren. Wie kommen die dahin? Der Neurochirurg hatte die Lösung: der Patient wurde kniend von vorne von einem Rechtshänder hingerichtet, daher die Einschüsse an entsprechender Stelle. Nach Aussage einer Krankenschwester auch ein Fall von “justice”.

Fazit:

Für mich ein fast unrealer Fall, der mehr mit Actionfilmen als dem normalen Leben zu tun hat. Hier aber ein Verletzungsmuster mit Wiedererkennungswert.

Fall „MVA“ (=motor vehicle accident)

Eine ca. 50-jährige Frau ist Teil eines Unfalls, bei dem ein Abschlepp-Transporter mit Vollgas in einen Minibus gerast ist, da er noch schnell über Rot wollte. Aus diesem Unfall kamen noch diverse andere Patienten ins Bara. Diese Patientin war immerhin angeschnallt.

Primary Survey

c keine kritische Blutung
A Atemweg frei, C-Spine immobilisiert
B Spontanatmung, VAG bds., Thorax/Hals unauffällig
C peripher tastbarer Puls, normale Rekap-Zeit; kein Hinweis auf Blutung in den großen Kompartimenten
D GCS 15/15, Pupillen unauffällig (BZ wird nicht standardmäßig erhoben)
E Eine komplette Entkleidung fand zu diesem Zeitpunkt nicht statt; die Pat. ist mit Glassplittern übersät

S: leichter Schmerz über dem Sternum, ohne Prellmarke o.Ä.
AMPLER: leer (L nicht erhoben) LODOX (Ganzkörper-Röntgen) und E-FAST sind negativ.

Da die Patientin nun als nicht-kritisch eingeschätzt wird, geht sie in den Bereich für minor injuries (surgical pit). Leider werden nun keine Vitalparameter erhoben und die Patientin wartet auf weitere diagnostische Maßnahmen (Röntgen, EKG etc.). Im Rahmen der Secondary survey werden keine neuen Erkenntnisse gewonnen, aber der periphere Puls scheint nur schwach bis gar nicht tastbar zu sein. Aus diesem Grund erfolgt erneut der Step-Up in den Resus-Bereich, für weitere Diagnostik und Therapie.

Hier ist der periphere Puls nun gar nicht mehr tastbar, bei weiterhin wacher und ansprechbarer Patientin. Der am Monitor gemessene initiale Blutdruck ist 70/40 bei einem Puls von 90, was als fehlende Kompensation gewertet wird. Hinweise auf einen spinalen Schock bestehen nicht und auch nach kompletter Entkleidung und Untersuchung bleibt nur der sternale Schmerz übrig. Trotz negativem Passive-Leg-Raise-Test erfolgt die Gabe von 1000ml Kristalloiden und die Lagerung in Trendelenburg.

Die BGA ist unauffällig. Es erfolgt ein erneutes E-FAST mit nun freier Flüssigkeit im linken oberen Quadranten. Nebenbefundlich wirkt die Herzaktion asynchron, was in Zusammenschau mit dem sternalen Schmerz trotz fehlendem Perikarderguss eine Kontusion des Herzens vermuten lässt. Die Indikation zur zeitnahen explorativen Laparatomie wird gestellt und der Oberarzt informiert. Im nächsten E-FAST ist nun auch im rechten oberen Quadranten freie Flüssigkeit zu sehen. Es erfolgt die Anlage eines ZVK V. Subclavia links sowie eines DK.

Bei weiterhin systolischen Werten um 70 mmHg erfolgt die Gabe von 500 ml FFP. Unter der Therapie stabilisieren sich die Blutdruckwerte um 80-90 mmHg systolisch, also O.K. im Rahmen der permissiven Hypotonie. Die Patientin ist weiterhin wach und ansprechbar und kommt innerhalb der nächsten Stunde in den OP, wo eine große Läsion am hinteren Leberrand versorgt wird.

Fazit:

Der schlechter werdende Zustand der Patientin wurde durch die wiederholte körperliche Untersuchung festgestellt (und wäre vielleicht sonst früher bemerkt worden, wenn die Vitalparameter gemessen worden wären). Nach dem Step-Up konnte durch serielles E-FAST eine bislang unerkannte Blutung gesehen werden.

Lektion für mich:

Auch in ressourcenarmer Umgebung funktionieren die Basics. Körperliche Untersuchung und E-FAST kosten nichts und können ständig wiederholt werden. Insbesondere in dynamischen Situationen sollte man das auch machen. (Wäre das E-FAST weiterhin negativ geblieben, wäre die Patientin bei weiter bestehendem C-Problem auch auf den Tisch gegangen)

Fall „Burned“

Ankündigung eines Schwerverbrannten Mitte 50 durch den Rettungsdienst, Ankunft ca. in 30 min. Präklinisch keine Atemwegssicherung, kein Zugang, keine Analgesie. Als der Patient hereingebracht wird schaut er uns mit panischem, schmerzverzerrtem Ausdruck an, reagiert aber auf einfache Befehle. Er ist von Kopf bis Fuß in paraffingetränkte Bandagen gewickelt. Laut Rettungsdienst ist das Ereignis ca. 2 Stunden her, genauere Angaben können keine gemacht werden.

Primary Survey

c keine katastrophale Blutung
A Stridor, Mundraum inspektorisch frei; HWS-Immobilisierung nicht indiziert
B Spontanatmung, beidseits belüftet, Stridor
C peripherer Puls palpabel, Recap nicht überprüfbar; RR 160/100
D GCS 14/15; Pupillenreaktion unauffällig
E Bandagen am ganzen Körper, wir wollen uns die Brandwunden später ansehen

Wir entscheiden uns zur schnellen Atemwegssicherung bei drohender Verlegung des Atemwegs. Während eine Kollegin einen Femoralis-ZVK legt, organisiere ich die Utensilien fürs Atemwegsmanagement und präoxygeniere. Dazu folgende Merkhilfe, die ich sehr praktisch finde (auch wenn es inzwischen viel zu viele Mnemonics gibt, um sie sich alle merken zu können)

STOPMAID für RSI

Suction = Absaugung (hier mit 5m Schlauch und Yankauer-Katheter)
Tools = Laryngoskop, Spatel, geht das Licht?
Oxygenation = Sauerstoffquelle für Maskenbeatmung, Beatmungsgerät
Positioning = verbesserte Jacksonposition, Flextension (es gibt in der Trauma-Unit leider keinerlei Lagerungskissen o.ä., aber man könnte den Patienten über den Kopfteil der Trage hängen; ich habe leider nicht über optimale Lagerung nachgedacht, das Ergebnis s.u.)
Monitors = wir haben leider nur den Blutdruck, da die EKG-Elektroden nicht halten und die Sättigung nicht ablesbar ist (Ohrclips gibt es nicht); etCO2-Messung gibt es in der Notaufnahme generell nicht
Assistant, Ambu-Bag, Airway-Devices, Airway-Assessment = Assistent; Beatmungsbeutel; Führungsstab, Blocker-Spritze, Devices für Plan B (hyperangulierte Spatel oder Videolaryngoskop gibt es hier nicht, Plan B wäre dann bei wahrscheinlich zuschwellendem Atemwege direkt die Koniotomie!); Atemwegsbeurteilung (war hier von außen unauffällig, aber beim Verbrannten erwartet schwierig)
Intravenous access = IV-Zugang (hier Femoralis-ZVK)
Drugs = Medikamente (300 mg Ketamin, 100 mg Rocuronium)

Leider wurde zur Intubation inzwischen ein Kinder-Laryngoskop mit langem (4er)-Spatel vorbereitet. Wo das (von mir bereitgelegte) normale Laryngoskop mit dem 3er-Spatel abgeblieben ist, weiß ich nicht. Solche Dinge passieren hier leider ständig, aber als Zuständiger für den Atemweg fällt es in meine Verantwortung solche Fehler zu verhindern. Zusammen mit der schlechten Positionierung konnte ich den Patienten bei CL III- Sicht bei leicht angeschwollenem Atemweg nicht intubieren, eine Fachärztin der Anästhesie hat es dann hinbekommen.

Nach Baxter-Parkland-Formel sollte der Patient bei ca. 80kg Körpergewicht und grob geschätzt mehr als 50% verbrannter KÖF in den ersten 8 Stunden also mindestens 8 Liter Flüssigkeit erhalten. Wir entfernten unter Wärmeerhalt die Bandagen, lösten die tote Haut ab und verbanden neu. Dabei entdeckten wir auch noch diverse Schnittwunden am Kopf, an den Handgelenken sowie am rechten Hoden.

Insgesamt muss also doch wieder von einem Gewaltverbrechen ausgegangen werden, wonach der Patient dann angezündet wurde. Die verbrannte Körperoberfläche war ~60%, weshalb sich der Oberarzt zur Palliation entschied, bei fehlender Prognose.

Fazit:

Bis auf die Probleme bei der Atemwegssicherung schöne Abarbeitung des Falls, die Entscheidung zur palliativen Versorgung bei 60% verbrannter KÖF lässt mich jedoch schlucken.

Lektion für mich: Prüfe deine Utensilien nicht nur einmal, wenn du sie bereitlegst, sondern auf jeden Fall nochmal vor der Einleitung. Positionierung vor der Intubation ist auch unter schwierigen Umgebungsbedingungen sehr wichtig, nicht immer ist jemand da, der mehr Erfahrung hat.

Abschluss

Habe ich nun meine drei Ziele erreichen können?

Strukturierte Abarbeitung von Trauma-Fällen: Definitiv! Sowohl als Teammitglied als auch als Traumaleader konnte ich hier viel Erfahrung sammeln.

Manuelle Fähigkeiten: Teilweise.

  • Einige Thoraxdrainagen waren drin, aber es hätten auch mehr sein dürfen (leider hatte ich mehrere Nachtdienste ohne Patienten, hier eine Rarität).

  • Wundversorgung auf Kriegsgebiet-Niveau habe ich auch in Ansätzen gelernt. Die hygienischen Standards sollte man aber zu Hause wieder etwas höher ansetzen (hier gibt es keinen Faden, der nicht irgendwann übers Bett gezogen wird, da es fast unmöglich ist, ein steriles Feld aufzubauen)

  • Viele (positive) eFAST

Stress-Resistenz: Schwer zu sagen.

Da man die vielen, teils grausam Verletzen als Teil eines motivierten und meist kompetenten Teams abarbeitet, empfand ich relativ wenig Stress. Außerdem stand fast immer ein Erfahrener zur Zweitbeurteilung bereit, worauf ich in meinen Diensten zu Hause nicht immer Zugriff hatte. Meine Erkenntnis ist daher, dass für das eigene Stresslevel das Team viel wichtiger ist als z.B. die Schwere der Verletzungen. Insgesamt bin ich zufrieden mit den Erfahrungen, die ich hier sammeln konnte und kann jedem Interessierten einen Aufenthalt in der Trauma-Unit des Bara empfehlen!

Ergänzung 29.07.2019:
Da es auf verschiedenen Kanälen einige sehr unschöne Unterstellungen gab, möchte ich mich zu zwei Themen noch einmal äußern:

  1. Der Traumaleader
    Der Begriff des Traumaleaders ist für mich (vielleicht fälschlicherweise) losgelöst von demjenigen Arzt, der die Verantwortung für die Situation trägt und supervidiert.
    Für mich bezeichnet es keinen Titel, den man sich aufs Namensschild schreibt, sondern eine Funktion, die man situativ einnehmen kann.Ich verstehe aber jetzt, dass viele unter diesem Begriff den Hauptverantwortlichen verstehen, meist einen Facharzt der Chirurgie oder einen erfahrenen Assistenten.
    Dass meine einmalige Verwendung dieses Begriffs solche starken Emotionen auslösen würde, war mir vorher nicht bewusst.
    Ich würde mich niemals als „Der Traumaleader“ bezeichnen, das wäre völlig absurd! Es war auch nicht meine Absicht, den Anschein zu erwecken, dass ich jetzt plötzlich in (deutschen) Schockräumen der Chef sein kann/will.
    Wenn ein diensthabender Arzt sagt, „Christian, willst du diesen Fall führen, ich stehe nebendran?“, dann sehe ich mich für einen Moment in der Position des Traumaleaders, was ich aber gerne zur Debatte stelle.
  2. Medizintourismus
    Jedes Krankenhaus bietet Möglichkeiten, irgendwelche Dinge zu tun, für die man nicht qualifiziert ist und die Patienten schädigen könnten. In Südafrika gibt es teilweise noch mehr Gelegenheiten dafür.
    Vor dem Aufenthalt habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, ob es mir möglich wäre abzulehnen, wenn mir Aufgaben übertragen werden, die potentiell patientenschädigend sein könnten.
    In eine solche Situation kam ich Gott sei Dank nicht, da ich zu jeder Zeit durch einen diensthabenden Arzt supervidiert wurde.
    Hier finde ich, dass sowohl das Krankenhaus als auch jeder Arzt persönlich dafür verantwortlich ist, den lokal höchstmöglichen Standard zu sichern. Meinem Ethikverständnis nach habe ich dort „sauber“ gehandelt, das kann man mir glauben oder nicht.

Den Originaltext lasse ich unverändert, da die Ergänzung ohne dessen Kontext keinen Sinn ergäbe.
Wie immer gilt: Dies ist eine Schilderung für medizinisches Fachpersonal, der Einzelfall entscheidet, die genannten Empfehlungen und Ereignisse sind ohne Gewähr, die Verantwortung liegt bei der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt. Wie alle unsere Artikel behandelt auch dieser eine notfall- bzw. akutmedizinische Situation, nicht die Versorgung auf Station, im OP oder in der Hausarztpraxis. Persönliche Meinung, keine absolute Wahrheit.

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11 Kommentare

  1. 1a Elendstourismus. Seine Profilneurosen als unterqualifizierter an den armen Menschen ausleben weil man nicht die Eier hat hier eine Karriere in der Chirurgie durchzuziehen. (Work-Life Balance muss stimmen aber ich will Trauma-Leader sein )

    1. Vielleicht hat gerade dieser Kollege mehr Eier als man denkt, wenn man denken würde. Zum einen erkennt er, dass er in verschiedenen Bereichen der Traumversorgung zwar theoretisch fit ist, jedoch die praktische Erfahrung fehlt. Gründe hierfür sind vermutlich u. a. auch, dass gerade penetrierende Traumen hierzulande Gott sei Dank relativ selten sind. Was also ist falsch daran dorthin zu gehen wo sich Traumversorgung am laufenden Band fabrizieren lässt. Dies gibt Praxis und unterstützt nebenbei die sowieso fast chronisch unterbesetzten Notaufnahmen in diesem Lande. Auch schadet es nicht einmal erleben zu müssen in welchem Luxus wir uns hier, trotz aller Nöte in der Medizin, bewegen. Nicht jeder, der sich mit Traumatologie befassen muss (will) weil er z. B. auch präklinisch tätig ist, muss deswegen zwangsläufig eine chirurgische Karriere anstreben. Ist auch gut so, ansonsten müssten ja die Chirurgen am Schluss noch alle in die Anästhesie abwandern. Und ganz nebenbei finde ich die Unterstellung einer Profilneurose bzw. des Elendstourismus ohne den Kollegen zu kennen ziemlich daneben; nochdazu ohne zumindest soviel Größe zu zeigen und den vollen Namen bekannt zu geben.

    2. Was für ein blödsinniger Kommentar. Auch als Notfallmediziner ist man für Traumata zuständig und da wäre es doch nicht schlecht, wenn man da zumindest in Ansätzen Erfahrung hat.
      Oder soll in Zukunft nur mehr der Chir-FA am NEF fahren dürfen?

  2. Troll – einfach nicht darauf reagieren. Wie der Autor schon treffend schreibt: auch das Bara profitiert immens von der Ausbildung und Erfahrung der Kollegen, die eine Zeit lang dort mitarbeiten – das hat nichts mit „Elendstourismus“ zu tun…

  3. Ob die, die hinkommen um Sachen an Menschen zu üben weil sie in ihren Heimatländern nicht dazu qualifiziert sind, und oder nicht vorkommen, eine Hilfe sind, weiß ich nicht. Moralisch fragwürdig allemal.

    1. Anscheinend haben Sie wenig Ahnung von der Materie… Wie kommen Sie darauf, dass die Kollegen „in Ihren Heimatländern“ nicht dazu qualifiziert seien? In Sachen Airwaymanagement beispielsweise können die Traumachirurgen im Bara tatsächlich von den ausländischen Kollegen profitieren. Umgekehrt profitieren die ausländischen Kollegen von der Arbeit mit Verletzungsmustern, die zuhause eben nicht so verbreitet sind – es ist ja nicht so, als würden da Laien hingehen, um mal ein bisschen zu „üben“

  4. Narkose machen kann die Krankenschwester. Wirklich hilfreich sind erfahrenen Chirurgen die komplexe Frakturen so operieren können, das die Menschen danach gute Lebensqualität haben. Und Leute die bleiben machen den Unterschied und die die Wiederkommen wenn sie in Europa ausgebildet wurdem. Was ich in Deutschland nie verstanden habe, ist wie der Staat so viele Jahre Studium und Geld in Menschen investieren kann damit die später 8 Stunden auf einem Hocker sitzen und RR notieren.

    1. Wunderschön, wie hier von Ihnen das Klischee des auf sein Fach beschränkten Arzt bedient wird. Noch nie scheinen Sie sich mit der Arbeit der Knöpchendrücker und Vitalwertprotokollantenten tiefer beschäftigt zu haben.
      Ein Patient beschrieb mir mal mein Fach sehr treffend:
      „Der Chirurg heilt mich & Sie sorgen dafür, dass ich dass Heilen überlebe.“

  5. Lieber Christian, ich würde an deiner Stelle die Bemerkungen am Anfang deines Posts wieder löschen (oder wenigstens ans Ende schieben). Falls jemand etwas an deinem Post auszusetzen hat, dann nur Leute wie der hier kommentierende „Enis“, ein armer Internet-Troll (der zu 100% niemals im Gesundheitswesen gearbeitet hat und irgendeine Meinung vertritt, sondern es einfach nur lustig findet, hier Müll reinzuschreiben).
    Diese Website hier ist eins der wenigen deutschen FOAM Angebote und sollte sich nicht mit Trollen beschäftigen müssen 😉

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