Performance & unsere Rolle im Leben des Patienten

Performance

Gerade im Rettungsdienst kommt es immer wieder vor: Manchmal gehen Meinungen bezüglich der Versorgung eines Patienten auseinander. Der Eine hätte sich eine schnellere Versorgung gewünscht, die Andere eine ausführlichere Anamnese. Die Praktikantin weist darauf hin, dass sie gelernt habe, beim Abdominalschmerz bei weiblichen Patientinnen solle ein 12-Kanal-EKG geschrieben werden. Und der Notarzt gähnt, und sagt „ist doch alles gut gegangen, war ne gute Performance“. Aber was ist denn eigentlich Performance, und wie messen wir das?

Performance ist kein Verbrechen

Was ist Performance? Ist es die Leistung, die wir grade abliefern? Ist es das, was am Ende dabei rauskommt? Haben wir eine gute Performance geliefert, wenn die Patientin mit SHT ohne unser Wissen normoglykäm im Schockraum ankommt? War es eine gute Performance, wenn die Patientin mit Oberbauchschmerz keinen Infarkt hatte?

Nein, denn: Performance bedeutet die Dinge zu tun, die notwendig sind, um ein gewünschtes Outcome zu erreichen.

Und Performance is now. Rückwirkende Absolution kann unser Gewissen beruhigen, aber nicht unsere Performance entschuldigen. Wir wissen, dass Oberbauchschmerzen gerade bei Patientinnen ein ACS sein können. Und wir wissen, dass wir beim ACS frühzeitig ein 12-Kanal-EKG schreiben sollen. Wenn wir also beim ACS verlässlich EKG-Diagnostik betreiben wollen, dann müssen wir bei jedem ACS frühzeitig ein EKG schreiben. Wenn wir das nicht tun, liefern wir keine gute Performance ab (angenommen gute Performance = patientenorientiertes Handeln).
Natürlich kann man Performance aus QM Sicht aufdröseln, Marker definieren, PDCA Zyklus durchexerzieren etc. Aber das ist nicht mein Anliegen. Abstrakter ist Performance das, was ein Team bieten muss, um ein gewünschtes Outcome erreichen zu können. Immer wieder.

Bei Diskussionen und Überlegungen darüber, was man noch für unsere Patienten hätte tun können oder wie man die Performance hätte steigern können, gilt es also ein paar Punkte zu beachten:

  • diskutieren wir mit jemanden, dessen Rationale ist, dass unser Handeln irrelevant ist?
    • (Wenn ja, spart es euch.)
  • Sprechen wir darüber, wie man Performance verbessert? Oder geht es um Rechtfertigung?
  • „Wer heilt hat Recht“ ist ein Satz, der immer nur im Nachgang genannt wird. Und immer nur dann, wenn es gut ging. Retrospektiv und selektiv Fälle zu betrachten wird unseren zukünftigen Patienten nicht gerecht.

„Wer heilt hat recht“ lässt noch etwas außer acht: Patienten haben manchmal gute Outcomes trotz schlechter Performance.

Ich erinnere mich an eine komplexe Traumareanimation, welche über 60 Minuten ging, mit mehrere ROSCs, hypoxischen Rearrests, schlechter Kommunikation und Performance. Entgegen aller Widrigkeiten konnte unser Patient nicht nur lebend ins Krankenhaus gebracht werden (vom nachbestellten, dann abbestellten, dann wieder nachbestellten RTH), sondern ein Jahr später war er sogar mit CPC 1 wieder Zuhause. Aber keine der am Einsatz beteiligten Personen würde empfehlen so einen Einsatz jemals wieder genau so anzugehen.

Grundsätzlich streben wir hoffentlich eine gute Performance an, weil eine gute Performance häufiger zu einem guten Outcome beim Patienten führt. Nur kann das eben im Einzelfall wie beschrieben anders ausgehen. Was aber, wenn es mal keine gute Performance war?

Wie wichtig ist unsere Performance?

Ihr kennt das vielleicht, man hätte sich eigentlich eine andere Versorgung gewünscht. Man ist nicht ganz zufrieden mit dem Ansatz der Kolleg:innen (weil beim schweren SHT eben kein BZ gemessen wurde, oder weil bei der Luftnot nicht konsequent nach LAE-Kriterien gesucht wurde). Und vielleicht kennt ihr das auch, dass dann kommentiert wird: „naja, wenns ne LAE ist, dann wird das die Klinik schon rausfinden.“ Oder dass erwähnt wird in der BGA im Schockraum sei der Zucker letztendlich ok gewesen.

Andererseits lest ihr das vielleicht grade, und denkt euch: ist doch okay. Ist ja nichts passiert. Wer heilt hat Recht? Und wieder andere denken sich wohl manchmal, dass hier übertrieben wird. Ob man jetzt immer den Zucker misst oder nicht, ob man jetzt immer ein 12er schreibt, ganz so schlimm ist das alles nicht. Das geht doch auch oft so gut. Und bei denen, die plötzlich mit Luftnot am Fuß der Treppe zusammenbrechen – da konnte man eh nichts machen. Fulminante LAE. Pech gehabt. Aufrüsten, gleich piept es wieder zum nächsten sinnlosen Einsatz.

Was ist Deine Rolle im Tag Deines Patienten?

Wie seht Ihr das? Ist es egal, mit dem RTW können wir eh nicht mehr machen, als Patienten transportieren? Ist es so wichtig, ob Du als Notärztin jetzt Metamizol verabreichst, oder kann das nicht in der Klinik passieren? Und diese Verlegung eines Schwerbrandverletzten mit 90% vKOF, die ist doch eh sinnlos oder?

„Mein Handeln spielt keine Rolle“

Wer so denkt, hat Schwierigkeiten sich zu motivieren. Wer so denkt, sieht den Sinn nicht darin, sich Mühe zu geben. Wer so denkt, nutzt das häufig als Schutz! Na klar, wenn man die junge Frau erfolglos reanimiert ist es einfacher zu ertragen wenn man sich einredet das sei eh aussichtslos gewesen. Kann es an der langen no-flow time gelegen haben, während der Notarzt versucht hat zu intubieren? Kann es daran liegen, dass die Defibrillation 6 Minuten zu spät kam, weil das Material nicht vorbereitet war? Irrelevant, wenn man sich sicher ist: die, die sterben, sind nicht zu retten. Und der Rest? Der ist nicht richtig krank. Spannenderweise gibt es eine kleine Ausnahme in dieser Denkweise: Häufig wird schroffes oder gar unethisches Verhalten mit einem erzieherischen Auftrag gerechtfertigt.

Ich glaube, mit dieser Einstellung droht man schnell den Spaß am Beruf zu verlieren. In der Präklinik stehen wir in wildfremden Wohnungen. Wir sind direkt am Unfallgeschehen, wir sehen die zerstörte Familienidylle im Autowrack, wir sehen die Einsamkeit der alten Patienten in voller Wucht in deren Wohnungen. Familienbilder an der Wand. Alle tot oder weggezogen. Aber wir sind auch da, wenn aus Angst Sicherheit wird, wenn aus Schmerz Entspannung wird. Wenn aus Frust Perspektive wird. Und wer schonmal jemanden reanimiert hat und später diese Person einen umarmt; wer da keine nassen Augen kriegt, der reiche mir ein Taschentuch.

Das soll kein pathetischer Roman werden. Ich will nur sagen, dass unsere Rolle verdammt privilegiert ist. Wir sind in intimsten Momenten dabei. Aber was Filmemacher und Autoren und so manche Blogger bislang nicht begriffen haben: wir sind keine Voyeure, wir sind keine Zeugen. Wir sind GERUFEN worden! Man will uns da haben! Weil man von uns Hilfe erhofft. Linderung. Einsortierung der Umstände. Es ist (nochmal) ein verdammtes Privileg, in dieser Rolle zu sein. Und der Schutzmechanismus, dass alle Einsätze aussichtslos oder sinnlos sind, wird diesem Privileg nicht gerecht. Es ist nicht nur ein Privileg, es ist auch eine Verpflichtung. Indem wir uns diese berufliche Tätigkeit ausgesucht haben, haben wir auch die Pflicht unseren Patienten eine gute Performance zukommen zu lassen. Jedes Mal.

Angelehnt an dem Kategorischen Imperativ stellt sich auch die Frage: „Wie möchtest du versorgt werden?“. Möchtest du, dass manche Untersuchungsschritte aus Lustlosigkeit ausbleiben? Findest du es beruhigend, wenn du das Gefühl hast, das Team interessiert sich nicht für deine Luftnot? Mal so und mal so versorgt werden, je nach Gusto des jeweiligen Teams? Wir wollen sicherlich gut versorgt werden, und wir wollen auch, dass unsere Kinder, Eltern, Verwandten und Freunde eine gute Versorgung bekommen. Also müssen wir diese auch liefern, finde ich.

„Heute haben wir ein Leben gerettet“

Heldenepos ist nicht so meins, Demut und Unterstatement finde ich ganz gut. Aber wer kann denn abends nach Hause fahren und behaupten ein Leben gerettet zu haben? Jenseits mancher uns nahestehender Berufe können das verdammt wenige. Die meisten Menschen werden ihr ganzes Leben verbringen, und nie diesen Satz ehrlich äußern können. Wir können das auch nicht ständig, schon klar. Aber hin und wieder eben doch.

Und wie sieht es aus mit „Heute habe ich das Erleben eines Menschen verbessert“? Weniger episch, aber das kann man doch am Ende eines jeden Tages von sich behaupten. Wir müssen uns immer wieder daran erinnern, dass unser Handeln eine Rolle spielt. Dann können wir auch die Früchte unseres Handelns für uns beanspruchen. Der weinende Junge, der lächelnd in der Notaufnahme ankommt. Die schmerzgeplagte Patientin mit Nierenkolik, die mit deutlicher Erleichterung das Wirken des Schmerzmittels wahrnimmt. Das waren wir. Das war unser Werk. Und auch die einsame ältere Dame, bei der unsere Anamnese etwas ausführlicher ist, auch ihr tat unsere Anwesenheit gut, wenn sie uns dann irgendwann mit einem Lächeln verabschiedet.

Wer so denkt, geht mit einem guten Gefühl nachhause. Meistens. Denn wer so denkt, knabbert auch deutlich mehr an den Momenten, indem es nicht gut lief. Wenn mein Handeln direkten Einfluss auf das Überleben des Patienten haben kann, dann kann es leider auch einen negativen Einfluss darauf haben. Das ist die viel zitierte Verantwortung.
Ich glaube, wer direkt an der Patientenversorgung beteiligt ist, ist gut beraten die eigene Rolle nicht Kleinzureden. Aber man muss dann eben auch die „Niederlagen“ verantworten und ertragen. Ich nenne das Team Verantwortung.

Fazit

Wenn unser Handeln egal ist, ist unsere Arbeit egal. Dann sind auch unsere Fehler egal. Dann sind aber auch alle guten Dinge zufällig passiert. Und das ist eben kein Rezept für Glück.

Wenn wir die Verantwortung akzeptieren, dass unser Handeln eine große Rolle spielt im Leben der Patient:innen, dann tragen wir auch die Last, wenn es nicht läuft wie geplant. Wir tragen aber auch die Früchte für alle Fälle bei denen wir Gutes tun konnten. Ich finde, das löst ein gutes Gefühl aus, und vielleicht könnt ihr das nachempfinden.

Wenn wir die Verantwortung annehmen, dann ist es nachvollziehbar, dass wir uns Gedanken darüber machen, was wir besser machen könnten. Dabei sollten wir uns daran erinnern, das Performance bedeutet die Dinge zu tun, die notwendig sind um ein gewünschtes Outcome zu bekommen. Eine gute Performance ist nicht allein vom Outcome abhängig. Wir können eine hervorragende Reanimation durchführen, und trotzdem am Ende den Patienten zuhause lassen. Und wir können auch Einsätze haben bei der die Performance schlecht war, aber der Patient irgendwie trotzdem unbeschadet aus der Sache rauskommt. Auf manches haben wir keinen Einfluss. Auf vieles haben wir Einfluss, das ist der Bereich indem wir „performen“ sollten.

Wir sollten daran arbeiten verlässlich eine gute Performance abzuliefern, und das im Team. Wir haben die Pflicht dazu. Wenn du dir Gedanken darüber machst, wie es besser geht, dann bist du im Team Verantwortung.

Willkommen!

 

 

Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Angegebene Dosierungen stellen keine Therapieempfehlung dar und dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

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4 Kommentare

  1. Sehr gut geschrieben! Wir haben doch einen der schönsten, aber auch verantwortungsvollsten Berufe der Welt. Leider neigen wir (ich denke mal relativ viele) zum Unterschätzen unseres Wirkens auf die Patienten. Wir nehmen bei für uns alltäglichen Dingen oft eine Sonderstellung im Leben der Patienten ein, deren wir uns auch bewusst sein dürfen. Vielen vielen Dank für die Ausführungen!

  2. Mein Lebensgefährte hat sein Vertrauen in das medizinische System verloren, weil er leider zu oft solchen Menschen begegnet ist, denen (mittlerweile?) alles egal ist, nicht zuhören, nicht untersuchen, nicht ernst nehmen und ihn vorverurteilen. Er glaubt nun nicht mehr daran, dass ihm noch jemand helfen wollte. Das ist auch Teil der Verantwortung, die man als Mitarbeiter im Gesundheitssystem trägt.

  3. Irgendwo zwischen „fuck, der hat recht“ und „ach komm, so schlecht sind wir doch nicht“ bleib ich hängen. Manchmal bin ich müde, mich permanent verbessern zu wollen und zu müssen. Manchmal bin ich mir sicher, dass ich gut war. Manchmal kriege ich Angst, wenn ich denke, dass ich in den letzten 30 Jahren nicht gut genug war, oder Fehler gemacht habe. In einem Job, der eigentlich keine Fehler verzeiht……

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