Reversibler Kreislaufstillstand – mehr als H’s und HITS

Ein RTW macht Mittagspause in einem örtlichen Einkaufsladen einer Großstadt. Ein Mann, 65 Jahre alt, ohne bekannte Vorerkankungen ist beim Einkaufen direkt neben der daneben stehenden Besatzung umgekippt und tut jetzt nix mehr. Also, scoop and run in den RTW und mehr humanpower nachbestellt. Klar, eine klassisch traumatische Ursache klingt erstmal unwahrscheinlich. Vermutlich eher andere Genese, also Start mit der Reanimation nach Algorithmus. Nach klassischem Ablauf ist es jetzt Zeit für die H’s und HITS. Diese sind ja schon fast ein alter Hut und quasi ausgelutscht, oder etwa nicht?

Vielleicht nicht wirklich, vor allem wenn wir sie uns mal mit einem Schritt Abstand anschauen und als das bewerten, was H’s und HITS in der Notfallmedizin sind: ein gutes Basiswerkzeug, das mit dem richtigen Grundwissen exzellent aufgebohrt und aufgewertet werden kann. Dazu habe ich bei der Plattform NowToGo einen Vortrag halten dürfen. Die Hintergründe und Quellen dazu möchte ich euch hier noch einmal zusammenfassen, außerdem gibt es den kompletten Vortrag plus Bonus-Kapitel hier noch mal zum anschauen.

Indikation?

Bevor eine Reanimation eingeleitet wird – oder während den ersten Minuten der Reanimation – muss zwingend Indikation und Kontraindikation sowie mutmaßlicher oder dokumentierter Patient:innenwille eruiert werden. Leider passiert es viel zu oft, dass eine Reanimation begonnen und mit „Scheuklappen” fortgesetzt wird, obwohl bereits mehrere Kontraindikationen bzw. eine geklärte DNR – Situation oder gar Abbruchkriterien vorliegen.

Insbesondere sollten wir uns klar machen, dass eine Asystolie über 20 Minuten (also etwa 4x Adrenalin) schon ein klares Abbruchkriterium darstellt. Eine tolle Zusammenfassung der Kriterien für den Abbruch haben LITFL veröffentlicht:

Cessation of CPR

Auch der EMS MEd Blog hat eine sehr gute Zusammenfassung geschrieben, insbesondere berücksichtigen sie auch externe Faktoren: Fahrt mit Sondersignal ist immer eine Hochrisikosituation, die nur gerechtfertigt ist, wenn eine entsprechende Indikation geklärt wurde – und wir eben nicht seit 40 Minuten in die Asystolie drücken.

Bei dem Patienten aus dem Fallbeispiel ist angesichts des Alters und der unbekannten Vorerkrankungen sicher von einer grundsätzlich guten Prognose sowie einem Behandlungswillen auszugehen, so dass die Reanimation fortgesetzt wird.

Reversible Ursachen

Und damit wird es auch Zeit neben einer qualitativ hochwertigen CPR die behebbaren Ursachen abzuarbeiten. Eine gute Aufarbeitung und ein exzellentes Schema hat Luca Ünlü vor kurzem bei uns hier veröffentlicht. Clevere Übersicht, die einen besonderen Fokus auf einfache Diagnostik und schnelle Behandlung legt:

 

Pneumothorax, Perikardtamponade und Hypovolämie

Mit POCUS (wie immer) können die ersten 3 Differentialdiagnosen innerhalb von Sskunden abgearbeitet werden. Pneumothorax, Perikardtamponade und Hypovolämie sind in dieser Situation Blickdiagnosen und können sofort behoben werden. Bei Perikardpunktion bitte aber immer mit dran denken: wo ich mit POCUS hinschauen kann, kann ich auch sicher hin stechen. Und das bedeutet eben, dass das eher von parasternal gut zu sehen ist, wie hier beschrieben.

Und natürlich an dieser Stelle wie immer der Hinweis, dass Drücken nur dann beim traumatischen Kreislaufstillstand Sinn macht, wenn die Umstände passen (bearbeitet in zwei legendären Artikeln von Justus Wolff und Michael Stanley).

TCA: Drücken ist zwecklos.

und

TCA: Drücken ist nicht zwecklos!

Hypoxie

Wenn also die erste Runde Diagnostik gelaufen ist und die wirklich schnell behebbaren bzw. diagnostizierbaren Ursachen bearbeitet worden sind, kommt der zweite Teil des Algorithmus. Hypoxie ist eigentlich ein Standardthema wie bei vielen anderen Patient:Innen, aber gerade in dieser Situation sollte uns kein Fehler unterlaufen, daher auch bei erfahrenen Profis in der Akutmedizin: Rückgriff auf die Checklisten.

dasFOAM-Checklisten zur Atemwegssicherung

Hypothermie

Eine großartige Zusammenstellung der Behandlunge der Hypothermie findet ihr unter rebel-em:

Accidental Hypothermia

Hypoglykämie

Und offiziell nicht dabei, aber dann doch im Einzelfall eine schnell behebbare Ursache einer Periarrest-Situation, ist die Hypoglykämie.

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32461056/

Intoxikationen

Intoxikationen sind oft problematisch zu erkennen, insbesondere ohne differenzierte Toxikologie, aber zur Reanimation führende Intoxikationen sollten eigentlich frühzeitige EKG-Veränderungen zeigen. Klassische Beispiele sind hier die Digitalis- oder die Trizyklikaintoxikation (für die pinups: ist eigentlich das gleiche wie Lithium.)

Phantastische Informationen gibt es bei den toxdocs, insbesondere Toxidrome und natürlich auch die einzelnen Substanzen:

http://toxdocs.de/2020/could-it-be-poison/

http://toxdocs.de/2018/intoxikationen-mit-trizyklischen-antidepressiva/

http://toxdocs.de/2018/reanimation/

Die EKG-Datenbank von LITFL sucht ihres Gleichen, in diesem Fall mit EKG zur TCA-Überdosierung.

Tricyclic Overdose

Und immer eine Bank bei notfallmedizinischen Dingen ist REBEL EM, in diesem Fall mit der Digoxin-Intoxikation.

 

Management of Digoxin Toxicity

Hyperkaliämie

Hyperkaliämie im EKG hat einige pathognomonische Kennzeichen, die nicht übersehen werden dürfen, denn frühzeitig erkannt kommen unsere Patient:Innen gar nicht mehr in die Reanimations-Situation.

Hyperkalaemia Management

Thrombembolien

Entgegen der klassischen Lehrmeinungen ist der berüchtigte S1Q3-Typ gar nicht so wichtig in der Diagnostik der Lungenembolie, hier ist die T-Negativierung in V1-3 viel entscheidender.

ECG changes in Pulmonary Embolism

Acute Pulmonary Embolism: Size does matter and ECG can give us clues

The Critical Pulmonary Embolism Patient

Man kann es nicht oft genug sagen, eine der wichtigsten Publikationen der letzten 10 Jahre in der Akutmedizin, was dieses Bild schon Leben beim Myokardinfarkt gerettet hat. Und auch ich nutze es im Alltag regelmäßig.

STEMI and equivalent

ECMO, POCUS und der Rest

Und damit kommen wir zurück zu unserem Patienten von oben, denn wir finden im POCUS eine flottierende Struktur in der Vena cava inferior. Bei beobachtetem Kreislaufstillstand, sofortiger CPR, vermutlich reversibler Ursache und passendem Alter erfolgt die ECMO Anlage und Verlegung über CT  (Diagnosesicherung) in den Herzkatheter (Therapie).

Die Zukunft: ECMO statt normaler Reanimation?

Und zum Schluss eine Sache, die ich mittlerweile in meinen klinischen Alltag integriert habe: Der POCUS Pulscheck und der Artikel hier auf dasfoam verfügbar, da gibt es dann auch mehr Infos und die Literatur:

Der Tod des Pulschecks – wie wir ihn kennen.

Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Angegebene Dosierungen stellen keine Therapieempfehlung dar und dürfen nicht ungeprüft übernommen werden. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

Bilder- und Videonachweis:

Die im Vortrag verwendeten Merkhilfen waren von https://die-zwei-in-reflexstreifen.blog/2020/09/18/4-hs-und-hits/ und https://www.grepmed.com/images/5664/differential-diagnosis-acls-hsts-cardiacarrest.

Die im Vortrag verwendeten Bilder („verstorbenes Liebespaar“, Formel 1, …) stammen von wikicommons, die EKGs von Life in the fast Lane bzw. Smith’s ECG blog. Ein Digoxin-EKG kommt von EMRA.

Loops sind aus eigener Bibliothek oder von pocusAtlas, einer unglaublich guten Ressource zum Entwickeln des eigenen Ultraschall-Blickes.

Die venöse BGA stammt aus einem Fallbeispiel von St. Emlyns.

Klicke, um auf s10049-021-00893-x.pdf zuzugreifen

 

 

 

 

 

 

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