Maßnahmenbundle zur Identifikation von Schwachstellen und Qualitätsverbesserung auf der Intensivstation
Zusammenfassung
Die Prävention katheterassoziierter Blutstrominfektionen hat einen hohen Stellenwert in der (intensiv)stationären Versorgung. Viele Infektionen sind vermeidbare Komplikationen, die durch sorglosen Umgang bzw. mangelhaftes Wissen entstehen. Die Identifikation abteilungsspezifischer Probleme und Schwachstellen stellt eine Möglichkeit dar das Risiko für katheterassoziierte Infektionen zu reduzieren. Multimodale Maßnahmenbundles zur Überwachung der Compliance, sowie zur Übermittlung und Festigung von notwendigem Wissen sind in der Lage die theoretische und praktische Kompetenz interprofessioneller Teams zu steigern und damit die Patientensicherheit zu erhöhen.
Katheterassoziierte Blutstrominfektionen stellen weiterhin eine große Gefahr für Patienten da. Insbesondere zentrale Venenkatheter (ZVK) sind häufig Ursache für schwerwiegenden Komplikationen. Etwa jeder 1000. ZVK-Tag verursacht eine katheterassoziierte Sepsis. Viele dieser Infektionen wären vermeidbar und sind ursächlich in zu sorglosem Umgang und mangelhaftem Wissen des Personals zu suchen. Insbesondere auf Intensivstationen besteht wegen der einerseits vulnerablen Patientengruppe und andererseits wegen der hohen ZVK-Anwendungsrate ein erhöhtes Risiko für katheterassoziierte Infektionen. Dieses gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Wie man Handlungssicherheit und Wissenszuwachs überwachen und generieren kann zeigen die Autoren dieses Beitrages.
Ausgangssituation
Um das Risiko einer katheter- und insbesondere einer ZVK-assoziierte Sepsis zu reduzieren wurde im Rahmen eines Projektes zur Surveillance der Verbandwechsel von zentralen Venenkathetern ein mehrstufiges Maßnahmenbundle durchgeführt. Ziel dessen war die Steigerung des Wissens zur Prävention von ZVK-assoziierten Infektionen und der Handlungssicherheit im Umgang mit zentralen Venenkathetern. Die Zielgruppe bestand aus dem pflegerischen und ärztlichen Personal der Intensivstation der Klinik. Das Projekt lief über sechs Monate, Ziele waren die Compliance-Beobachtung von mindestens 15 ZVK-Verbandwechseln, die Schulung aller Mitarbeiter, sowie die Überprüfung eines Lernzuwachses mittels schriftlicher Wissenstandserhebung zu Beginn und am Ende des Projektes.
Die Intensivstation auf welcher dieses Projekt durchgeführt wurde verfügt über sechs Betten mit fünf Beatmungsmöglichkeiten. Insgesamt kommt die Station jährlich auf etwa 2000 Patiententage. Die Patientenbelegung ist interdisziplinär. Die ärztliche Verantwortung liegt bei der Klinik für Anästhesie des Krankenhauses. Das gesamte ärztliche Personal der Intensivstation besteht aus Fachärzten für Anästhesie, teilweise mit der Zusatzbezeichnung spezielle Intensivmedizin. Das pflegerische Team ist zu ca. 50% fachweitergebildet. Der Altersdurchschnitt mit über 50 Jahren recht hoch, die durchschnittliche Berufserfahrung beträgt knapp 20 Jahre.
Im Vorjahreszeitraum des Projektes konnten ca. 450 ZVK-Tage verzeichnet werden, diese Zahl reduzierte sich im Projektzeitraum auf knapp 300.
Maßnahmen
Multiple-Choice-Tests zur Wissenstandserhebung
Zu Beginn und Ende des Projektzeitraumes wurde eine Wissenstandserhebung mittels eines Multiple-Choice-Tests mit neun Fragen zum Thema Prävention katheterassozierter Infektionen durchgeführt. (Tabelle 1) Beide Tests waren identisch aufgebaut, sodass ein direkter Vergleich vollzogen werden konnte. Die Fragen des Tests orientierten sich an einer Untersuchung zum Thema „Defizite bei der Prävention der ZVK-assoziierten Sepsis: Wissenslücken oder Complianceprobleme?“ des Institutes für Hygiene und Umweltmedizin, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Nationales Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ).
Tabelle 1: Multiple-Choice-Test (korrekte Antwort unterstrichen)
Frage | Antwortmöglichkeiten | ||||
Welcher Zugang ist aus infektionspräventiver Sicht für die ZVK-Anlage zu bevorzugen?
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Vena jugularis interna
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Vena subclavia
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Vena femoralis
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V. jugularis int. und V. subclavia sind gleichwertig gegenüber der V. femoralis zu bevorzugen.
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Es gibt keinen Unterschied zwischen den drei Zugangsmöglichkeiten.
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Welche der folgenden Maßnahmen senkt nachweislich das Risiko für das Auftreten einer ZVK-assoziierten Sepsis?
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Bei der ZVK-Anlage sollten sowohl Arzt/Ärztin als auch Assistent(in) einen sterilen Kittel tragen.
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Haarentfernung an der Einstichstelle durch Rasur
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Tragen von sterilem Kittel, sterilen Handschuhen, Mund-Nasen-Schutz und Haube plus großflächige sterile Abdeckung und großflächige Hautdesinfektion bei der ZVK-Anlage
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Anlage des ZVK im OP
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Auswahl eines mehrlumigen im Vergleich zu einem einlumigen Katheter
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Welche Aussage zum ZVK-Verbandwechsel trifft nicht zu?
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Bisherige Studien zeigten keine eindeutigen Vor- oder Nachteile von Gazeverbänden gegenüber Transparentverbänden.
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Bei jedem Verbandwechsel sollte die Einstichstelle desinfiziert werden.
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Der ZVK-Verband sollte grundsätzlich täglich gewechselt werden.
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Der ZVK-Verband sollte gewechselt werden, wenn die Schutzfunktion nicht mehr gegeben ist.
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Bei stark nachblutender Einstichstelle ist ein Gazeverband günstiger als ein Transparentverband.
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Was sollte beim ZVK-Verbandwechsel beachtet werden?
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Der alte Verband sollte nur mit sterilen Handschuhen entfernt werden.
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Bei jedem Verbandwechsel sollte eine antibiotische Salbe im Bereich der Einstichstelle aufgetragen werden.
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Vor Entfernung des alten und vor Aufbringen des neuen Verbandes sollte eine hygienische Händedesinfektion erfolgen.
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Gazeverbände dürfen zum Verbinden eines ZVK nicht mehr eingesetzt werden.
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Der erste Verband nach ZVK-Anlage sollte frühestens nach 48h gewechselt werden.
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Wie häufig sollte das Infusionssystem bei der Gabe wässriger Lösungen gewechselt werden?
Wann sollte ein ZVK gewechselt werden?
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Alle 6h
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Alle 12h
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Alle 24h
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Alle 48h
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Alle 72 – 96h
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Wann sollte ein ZVK gewechselt werden?
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Alle 7 Tage
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Alle 3 Tage
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grundsätzlich bei länger anhaltendem Fieber > 39,5° C
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Bei sichtbarer Infektion der Einstichstelle
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Bei Kontamination einer Zuspritzstelle (z. B. durch nicht verschlossenen Dreiwege-Hahn)
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Welche Aussage trifft nicht zu?
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Vor dem Wechsel von Infusionsflaschen sollte die Gummimembran mit alkoholischem Desinfektionsmittel desinfiziert werden.
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Perfusorspritzen dürfen maximal 3x wieder aufgefüllt werden.
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Die Lagerung von Infusionslösungen in Mehrwegbehältnissen sollte ohne (steckenden) Minispike erfolgen.
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Vor jeder Manipulation am Infusionssystem sollte eine hygienische Händedesinfektion erfolgen.
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Infusionssysteme sollten aus infektionspräventiver Sicht so selten wie möglich diskonnektiert werden.
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Wie viel Zeit darf maximal zwischen Richten und Verabreichung von Mischinfusionen liegen?
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15 Minuten
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60 Minuten
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3 Stunden
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8 Stunden
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24 Stunden
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Welche der folgenden Maßnahmen ist keine evidenzbasierte Maßnahme zur Prävention der ZVK-assoziierten Sepsis?
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Die ZVK-Anlage unter sogenannten maximal sterilen Bedingungen
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Regelmäßige Fortbildungen des Personals
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Wechsel des ZVK über Führungsdraht, wenn Hinweise auf eine Katheter-assoziierte Infektion bestehen
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Wechsel des ZVK-Verbandes, wenn die Schutzfunktion aufgehoben ist.
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Konsequente Händedesinfektion beim Umgang mit ZVK oder Infusionssystem, unabhängig vom Tragen von Handschuhen
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Poster mit den wichtigsten Fakten
An zentralen Orten der Station wurde ein DIN A3 großes Poster mit den wichtigsten Fakten zur Prävention ZVK-assoziierter Infektionen aufgehangen. (Abb.1) Neben den Computerarbeitsplätzen der Pflege waren dies die Lagerstellen für ZVK-Materialien, sowie das BGA-Gerät. Während des Wartens auf die Ergebnisse der Blutgasanalyse hatten die Mitarbeiter somit die Möglichkeit die Inhalte zu verinnerlichen.
Schulungsskript
Während auf den Postern nur stichpunktartig Informationen zur Verfügung gestellt wurden, erhielten alle Mitarbeiter des Projektes ein Schulungsskript mit ausführlicheren Informationen zur Prävention von katheterassoziierten Infektionen auf Basis der RKI-Empfehlung „Prävention von Infektionen die von Gefäßkathetern ausgehen“.
Vortrag
Im Rahmen einer Teambesprechung erfolgte zudem ein Vortrag durch die hygienebeauftragte Fachpflegekraft der Intensivstation. Der Vortrag war die einzige Schulungsmaßnahme die nicht alle Mitarbeiter erreichte, da nicht alle an der Besprechung teilnehmen konnten.
Complianceuntersuchung ZVK-Verbandwechsel
Mittels eines durch die leitende Hygienefachkraft erstellten Protokolls führte die hygienebeauftragte Fachpflegekraft der Intensivstation 20 Compliance-Beobachtungen von ZVK-Anlagen, sowie Verbandwechseln durch. Die Ergebnisse wurden anonym protokolliert und statistisch ausgewertet, um mögliche Schwachstellen und Defizite zu identifizieren.
Tabelle 2: Protokoll zur systematischen Verbandwechsel-Compliance-Beobachtungen
Vorbereitung
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Händedesinfektion durchgeführt
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O ja O nein O teilweise |
Flächendesinfektion durchgeführt:
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O ja O nein O teilweise |
Materialien vollständig bereitgestellt
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O ja O nein O teilweise |
Handschuhe angelegt
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O ja O nein O teilweise |
ggf. PSA angelegt
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O ja O nein O teilweise |
Durchführung der Tätigkeit:
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Händedesinfektion nach den 5 Indikationen (WHO) durchgeführt
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O ja O nein O teilweise |
Handschuhe getragen bzw. Handschuhwechsel durchgeführt
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O ja O nein O teilweise |
Fenster geschlossen
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O ja O nein O teilweise |
Sprachkarenz während des Verbandwechsels
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O ja O nein O teilweise |
Korrekter Einsatz steriler Instrumente/Verbandmaterialien
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O ja O nein O teilweise |
Nachbereitung der Tätigkeit
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Händedesinfektion durchgeführt
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O ja O nein O teilweise |
Flächendesinfektion durchgeführt
|
O ja O nein O teilweise |
Ergebnisse
Multiple-Choice-Tests zur Wissenstandserhebung
Die durchgeführten Tests konnten einen Wissenszuwachs belegen. Am Test zu Projektbeginn nahmen 24 Mitarbeiter teil, am Projektende 21. Der bereits sehr hohe Wissensstand konnte gefestigt bzw. ausgebaut werden. Bei zwei Fragen wurde eine leichte Verschlechterung verzeichnet, einer dieser Fragen zielte jedoch auf die maximale Zeit zwischen Richtung und Verabreichen von Mischinfusionen ab. Dort wurde ein kürzeres Intervall als gemäß RKI-Empfehlung vorgesehen als korrekt angesehen. Diese falsche Beantwortung der Frage bzw. dieses „Unwissen“ führt also zu keiner hygienischen Verschlechterung, eher das Gegenteil ist zu postulieren.
Tabelle 3: Ergebnisse der Multiple-Choice-Tests
Frage | korrekt beatwortet zu Projektbeginn | korrekt beatwortet am Projektende |
Welcher Zugang ist aus infektionspräventiver Sicht für die ZVK-Anlage zu bevorzugen?
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67% | 100% |
Welche der folgenden Maßnahmen senkt nachweislich das Risiko für das Auftreten einer ZVK-assoziierten Sepsis?
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100% | 100% |
Welche Aussage zum ZVK-Verbandwechsel trifft nicht zu?
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100% | 100% |
Was sollte beim ZVK-Verbandwechsel beachtet werden?
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83% | 100% |
Wie häufig sollte das Infusionssystem bei der Gabe wässriger Lösungen gewechselt werden?
Wann sollte ein ZVK gewechselt werden?
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92% | 100% |
Welche Aussage trifft nicht zu?
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100% | 100% |
Wie viel Zeit darf maximal zwischen Richten und Verabreichung von Mischinfusionen liegen?
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92% | 83% |
Welche der folgenden Maßnahmen ist keine evidenzbasierte Maßnahme zur Prävention der ZVK-assoziierten Sepsis?
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100% | 83% |
Complianceuntersuchung ZVK-Verbandwechsel
Die Complianceuntersuchung der ZVK-Verbandwechsel führte ebenfalls zu guten Ergebnissen. Es konnten wenige Schwachstellen identifiziert werden, auf welche in zukünftigen Schulungen besonderes Augenmerk gelegt wird. (Tabelle 4) Hochkritische Situationen wie die hygienische Händedesinfektion, sowie der korrekte Umgang mit sterilen Materialien wurden zu 100% eingehalten bzw. durchgeführt. Nebenbefundlich ist aufgefallen, dass das bislang genutzt Produkt zu Abdeckung der zentralen Venenkatheter nicht die erwartete Haltbarkeit aufweist und sich häufig ablöst, was einen weiteren Verbandwechsel und damit eine weitere Manipulation am ZVK nach sich zieht. In Folge dessen wurde das Produkt gewechselt.
Tabelle 4: Ergebnisse der systematischen Verbandwechsel-Compliance-Beobachtungen
Vorbereitung
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Durchgeführt in % |
Händedesinfektion durchgeführt
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100% |
Flächendesinfektion durchgeführt:
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80% |
Materialien vollständig bereitgestellt
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85% |
Handschuhe angelegt
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100% |
ggf. PSA angelegt
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100% |
Durchführung der Tätigkeit:
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Händedesinfektion nach den 5 Indikationen (WHO) durchgeführt
|
100% |
Handschuhe getragen bzw. Handschuhwechsel durchgeführt
|
100% |
Fenster geschlossen
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75% |
Sprachkarenz während des Verbandwechsels
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60% |
Korrekter Einsatz steriler Instrumente/Verbandmaterialien
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100% |
Nachbereitung der Tätigkeit
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|
Händedesinfektion durchgeführt
|
85% |
Flächendesinfektion durchgeführt
|
80% |
Fazit
Auch in erfahrenen Intensivteams mit hohem Wissensstand ist die Gefahr von katheterassoziierten Infektionen allgegenwärtig. Durch gezielte Surveillance und Schulungsmaßnahmen lässt sich weitere Handlungssicherheit und weiterer Wissenszuwachs generieren und damit eine Steigerung der Patientensicherheit und eine Reduktion von potentiell kritischen Komplikationen erzielen. Die Verhinderung vermeidbarer katheterassoziierte Infektionen ist eine maßgebliche Aufgabe pflegerischer und ärztlicher Mitarbeiter auf Intensivstationen. Insbesondere in Zeiten immer weiterer Arbeitsverdichtung und Personalknappheit muss die Wichtigkeit des korrekten Umganges mit Kathetern bekannt, sowie der stets aktuelle Wissensstand gewährleistet sein.
Literatur
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