Die Maske muss NICHT dicht sitzen zur Reanimation #BeiluftIstOk

„Warum riecht es hier schon wieder nach Iso?“ faucht mich die Oberärztin an, als sie meine Einleitung betritt. Mir stehen Schweissperlen auf der Stirn, die Hände zittern und der linke Unterarm schmerzt. Krampfhaft versuche ich die Maske dicht auf dem Gesicht des Patienten zu halten, der kleine Finger im Kieferwinkel und mit den C-Griff vergeblich bemüht, Mund und Nase abzudecken, während mit jedem Druck auf den Beatmungsbeutel in der rechten Hand die Luft an den hohlen Wangen vorbeizischt. Wir habe das Jahr 1999*, ich habe das AIP in der Anästhesie begonnen und gebe mir redlich Mühe, den gestrengen Anforderungen der Beutel-Maske- Ventilation gerecht zu werden. Heute Nacht werde ich wieder gut und traumlos schlafen, Narkosegas sei Dank.

Wer kennt das noch? Der scharfe Isoflurane-Geruch bei der Narkoseeinleitung, Patient ist grad eingeschlafen, man versucht sich in Maskenbeatmung bis das Relaxanz wirkt und der Gastopf wurde aufgedreht, damit der Patient nicht aufwacht…Wie, Ihr kennt das nicht? Ihr macht Narkose nur noch mit Propofol, volatile Anästhetika kommen nur noch im Kindersaal vor und überhaupt – wer benutzt noch Narkose-Gas während der Einleitung? Tja, früher war das so. Da musste man die Maske dicht halten, damit man sich nicht vergiftete. Dieses „Maske dicht halten“ und “mit der Maske beatmen“ wird als eine der komplexesten und am Schwierigsten zu erlernenden Fertigkeiten in der Anästhesie betrachtet. Auch wenn es Ordinarien der Anästhesie gibt, die hinter vorgehaltener Hand sagen „Beutelquetschen kann man jedem Affen beibringen“, hält jede Fachärztin und jeder Facharzt der Anästhesie die Fähigkeiten zur Beutel-Maske- Ventilation für ein Alleinstellungsmerkmal der Anästhesie. Ohne Frage ist die Beutel-Maske-Ventilation (BMV) die universale Rückfallebene im Atemwegsmanagement. Die Expertise und die Excellenz zur BMV haben schon einigen Patienten das Leben gerettet. Nichtsdestotrotz muss die Frage erlaubt sein, ob dieser hohen Anspruch an jeden Anwender von BMV gestellt werden muss.

Insbesondere muss man fragen, ob dieser hohe Anspruch unter allen Umständen auch von wenig trainierten Anwendern in einer besonderen Situation erfüllt werden muss:

Muss man bei der Reanimation die Maske dicht halten?

Gibt es dafür überhaupt noch einen sinnvollen Grund? Ich möchte das hier einmal anzweifeln und die Frage stellen:

Ist Beutel- Maske- Ventilation (BMV) immer noch schwierig, wenn man die Maske nicht dicht halten muss?

Reicht es während einer Reanimation nicht, Sauerstoff in den Patienten zu bekommen und ein bisschen Kohlendioxid heraus zu kriegen, bis ein definitiver Atemweg etabliert wird? Das Hauptargument, nämlich die Raumluft- Kontamination mit Narkosegas, fällt zum Beispiel bei der präklinischen Reanimation komplett weg.

Kann man bei der präklinischen Reanimation die Diskussion um den richtigen Atemweg vereinfachen, wenn Maskenbeatmung so einfach durchgeführt wird, wie sie ist, wenn die Maske NICHT dicht sitzen muss?

In den Leitlinien wird nur ein Zugvolumen von rund 500 ml empfohlen, wenn 100% Sauerstoff gegeben wird. (…„inflating the chest with sufficient volume to ensure the chest rises visibly„…)

Bitte noch einmal: 500 ml Zugvolumen mit 100% Sauerstoff.

Wer quetscht den gesamten 1,5 Liter Ambubeutel in die Rea-Puppe, damit man sehen kann, das der Thorax sich hebt? Na, sehr viele, würde ich mal behaupten. Wie sieht es bei der Reanimation eines echten Patienten aus? Nicht viel anders… ich schliesse daraus, dass die anästhesiologische Kulturtechnik der Maskenventilation keine hohe Durchdringungstiefe hat.

Mit einfachen Hilfsmittel ist es aber möglich, die überwiegende Mehrheit von Patienten mit der Beutel-Maske-Ventilation zu beatmen. Insbesondere, wenn man darauf verzichtet, auf die Dichtigkeit der Maskenhaltung zu bestehen. Man kann es versuchen, die Maske dicht zu halten. wenn es aber nicht klappt ist es wichtiger, überhaupt Sauerstoff in den Patienten zu bekommen. #BeiluftIstOk

Vom übergewichtigen Bartträger ohne Hals bis zur zahnlosen geriatrischen Patientin mit Unterbiss kann man im Prinzip jedem Patienten eine Minimal-Beatmung zukommen lassen. Zu den einfachen Hilfsmitteln gehören folgende Standardmaßnahmen:

  • Guedeltubus
  • Reklination
  • Esmarch- Handgriff
  • Verbesserte Jackson- Position

Um das Zugvolumen auf die erforderliche 500 ml zu beschränken und die Hyperventilation zu vermeiden könnte man auch einen Kinderbeutel nehmen. Damit werden ca. 450 ml pro Beatmungszug abgegeben. Das Risiko einer Hyperventilation wäre nicht mehr gegeben. Mit einer Kapnometrie kann man den Gasaustauch in der Lunge nachweisen und damit die Beatmung belegen.

Wenn BMV so schwierig sein soll, warum ist sie dann so effektiv?

Ein Kollege aus der Unfallchirurgie hat einmal zu mir gesagt: „Es gibt nichts Schwierigeres, als die Maskenventilation“. Da hat er auch Recht, wenn man den gültigen Facharztstandard der Anästhesiologie als Maßstab nimmt. Dem möchte ich aber mit folgendem Beispiel begegnen: „Es gibt nichts Schwierigeres, als die anatomisch korrekte Reposition einer Fraktur“. Und das weiß ich genau, da ich so einige Durchleuchtungszeiten von > 90 min bei unfallchirurgischen Eingriffen miterlebt habe. Der Witz an der Sache ist aber, dass ich es gar nicht erst versuchen würde. Die achsengerechte Reposition und Fixierung ist präklinisch völlig ausreichend. Und analog dazu sollte man den Anspruch an die Maskenventilation halten.

Outcome Daten sprechen für die Beutel-Masken-Ventilation (BMV) als ausgesprochen effektive Maßnahme zur Beatmung von Patienten während der Reanimation. Bei Reanimationen unter BMV zeigt sich im Verhältnis zur Anwendung von extraglottischen Atemwegssicherungen (EGA) oder auch zur Intubation (ITN) keine schlechteren Ergebnisse in Überleben der Patienten und auch nicht im neurologischen Ergebnis.

Ein ausführlicher Blogbeitrag mit vielen Literaturstellen zu „Airway Management in Cardiac Arrest“ von Em Docs (http://www.emdocs.net/airway-management-in-cardiac-arrest/) zieht folgende Schlüsse:

„Based on the above research, it seems that basic airway interventions, such as jaw maneuvers, airway adjuncts (OPA/NPA), and bag valve masks, are associated with better outcomes than advanced airway interventions (SGA, ETI) in OHCA.“

Hierbei wurde nicht auf die Qualität der einzelnen Methoden geschaut, sondern nur die verschiedenen Methoden verglichen. Wenn man davon ausgeht, das die wenigsten Anwender von BMV im präklinischen Setting den Facharztstandard der Anästhesie erfüllen können, dann muss man erwarten, dass die Maskenventilation nicht perfekt durchgeführt worden ist. Nichtsdestotrotz reicht es, um das Überleben der Patienten zu sichern und das sogar besser, als mit komplexeren Methoden zur Atemwegssicherung.

BMV bei der Reanimation ist effektiv und sicher und deshalb in den Leitlinien etabliert

Die Reanimationsleitlinien sehen in der Intubation den Goldstandard, aber BMV und EGA als akzeptable Alternativen in der frühen Phase der Reanimation.

Mit der Beutel-Maske- Ventilation stehen wir im Spannungsfeld zwischen compression-only Reanimation und der Reanimation eines endotracheal intubierten (oder mit einem anderen invasiven Atemwegsdevice versorgten) Patienten. Was compression-only anbetrifft, wissen wir, dass es besser ist, als nichts zu tun. Aber ob man die Utsein Analyse aus Japan nimmt oder die EUREKA 2 Studie, in jedem Fall ist das outcome bei compression only schlechter, als mit jeglicher Form von Ventilation. Naja, bei einem Kreislaufstillstand sind ja auch „nur“ 60-70% der Patienten im Kammerflimmern, eine andere Ursache als kardial kann also auch eine Rolle für den Kreislaufstillstand gespielt haben. Und deshalb darf die Beatmung nicht unberücksichtigt bleiben. Wer Sorge vor der Aspiration bei BMV hat, dem sei versichert: Das ARDS ist nicht die Todesursache nach ROSC, sondern das hypoxische Hirnödem.

Was sind unsere Ansprüche an die Ausbildung im Rettungsdienst?

Stellen wir an jede Einsatzkraft, die von First Responder bis zum Notfallsanitäter oder Notärztin an einer Reanimation beteiligt sein könnte, die gleichen Ansprüche im Bezug auf die Beutel-Masken- Ventilation? Muss jeder die Facharzt- Fertigkeit von Anästhesisten zum Maskenhalten besitzen?

Kompetenz-Modell mit vier Ebenen (Kennen, Können, Beherrschen, Experte) für die berufliche Rettungsdienst- Praxis

Der Bundesverband der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst unterscheidet vier Kompetenzstufen in der Ausbildung, an denen man auch Qualitätskriterien zum Messen und Vergleichen anlegen kann. Ich stelle jetzt folgende These auf: Die Kompetenzstufe II „Können“ mit der Beschreibung „Kann Maßnahmen unter einfachen Bedingungen anwenden“ sollte das minimale Ziel für jeden Rettungshelfer und jede darüber liegende Qualifikation sein. Hierbei ist zu berücksichtigen, das die BMV einer leblosen Person in der Regel keine schwierige Maskenbeatmung darstellt, da das Ziel, wie oben beschrieben, 300-500 ml Zugvolumen sind. Ausserdem sollten die oben genannten Hilfsmittel verwendet werden: #Guedel, #Esmarch, #Jackson.

Die S1 Leitlinie „Prähospitales Atemwegsmanagement“ richtet hohe Ansprüche an das Training am Patienten zum Erwerb der Fähigkeit zur Anwendung von EGA und ITN. Auch für die BMV werden im Anhang der Leitlinie 100 Anwendungen am Patienten gefordert. Dies halte ich für absolut unrealistisch und wirklichkeitsfremd. Ich hoffe die Argumentation von oben stellt klar: Eine perfekte Beutel-Masken-Ventilation kann und muss für die Reanimation nicht gefordert werden.

Das Ziel muss sein, ausreichend Sauerstoff in die Lunge zu bekommen, um das Blut aufzusättigen und eine Hypoxie zu beenden. Dabei muß die Maske nicht dicht sitzen.

Zum Abschluß möchte ich sagen: *1999 ist nur ein Beispieljahr. Seit dem letzten Jahrtausend habe ich meine Maskenbeatmung zur Narkoseeinleitung an die modernen Möglichkeiten angepasst. Schmerzen in dem Unterarmen sind Vergangenheit, weil ich das Beatmungsgerät bei der Narkoseeinleitung auf eine druckbegrenzte Beatmungsform (zB 12/0 mbar, AF 15) einstelle und die Maske beidhändig mit dem Thenar-Eminence-Grip locker über Mund und Nase des Patienten lege sowie den Esmarch mit den Zeigefingern mache. Klappt wunderbar, bis das Relaxanz wirkt. Und: #BeiluftIstOk

xaqu1n

Literatur

Tidal volumes which are perceived to be adequate for resuscitation

Airway Management in Cardiac Arrest“ von Em Docs

European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015

Executive Summary 2020 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation

Orientierungsrahmen für ein sicherstellbares Kompetenzniveau von invasiven Maßnahmen im Rettungsdienst

BMV vs ETI for Out-of-Hospital Cardiac Arrest — Noninferiority of bag-mask ventilation compared to endotracheal intubation inconclusive by Kate Kneisel, Contributing Writer, MedPage TodayMarch 1, 2018 https://www.medpagetoday.com/cardiology/arrhythmias/71463

 Adnet F, et al „Effect of bag-mask ventilation vs endotracheal intubation during cardiopulmonary resuscitation on neurological outcome after out-of-hospital cardiorespiratory arrest“ JAMA 2018; 319: 779-787.

Lewis R, et al „Airway management during out-of-hospital cardiac arrest“ JAMA 2018; DOI: 10.1001/jama.2018.0155.

Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

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2 Kommentare

  1. Oh mein Gott, lieberJoachim. Ich habe beim Lesen der ersten Zeilen gedacht … “ dressierter Affe“ , der Autor könnte doch von …. Und zack .. richtig vermutet. Danke für den schönen Artikel. Ich hoffe es geht Dir gut

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