TCA: Drücken ist nicht zwecklos!

Zu Beginn ein Zitat:

Ein Schädel-Hirn-Trauma ist Folge einer Gewalteinwirkung, die zu einer Funktionsstörung und/oder Verletzung des Gehirns geführt hat und mit einer Prellung oder Verletzung der Kopfschwarte, des knöchernen Schädels, der Gefäße und/oder der
Dura verbunden sein kann.
AWMF-Leitlinie (2e) Schädel-Hirn-Trauma im Erwachsenenalter

Das sollte Ärzten, Pflegefachpersonal, und Rettungsfachpersonal hinreichend bekannt sein. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff Impact Brain Apnea (IBA) aka Brain Impact Apnea? In Justus‘ Artikel „TCA: Drücken Zwecklos“ wird es sogar kurz erwähnt – und ich finde, dass wir uns dem Thema einmal mehr widmen sollten.

Neumodischer, angloamerikanischer Sch…. ?

Mitnichten. Die erste Erwähnung findet diese Pathologie schon 1705, und seitdem wird immer wieder davon berichtet. An Tiermodellen konnte seit 1870 verlässlich gezeigt werden, dass ein Schädeltrauma auch ohne erkennbare Verletzungen des Gehirns nachweislich zu einer unterschiedlich langen Apnoe-Phase führt. Eine deutliche Korrelation ist zum Beispiel zwischen Schlagkraft und Dauer der Atemaussetzer festzustellen. Wenn der Schlag zur Bewusstlosigkeit führte, schloss sich immer auch eine Apnoe an. Und jetzt der Clou: Wenn die Tiere im Anschluss beatmet wurden, setzte irgendwann wieder der eigene Atemreiz ein – falls nicht verstarben die Tiere hypoxischer Genese. So grausam diese Experimente an Ratten, Katzen, Hunden, und Primaten waren, an uns Menschen wurde das natürlich nicht getestet. Außer einigen retrospektiven Erfassungen gibt es also keinen Beweis für die Übertragbarkeit dieser Beobachtungen – trotzdem liegt die Annahme nahe, dass der Mensch (wie sämtliche untersuchte Säugetiere auch) einen passageren Atemstillstand nach SHT erleiden kann.

Warum ist das relevant?

Nun, möglicherweise ist das eine Ursache traumatischer Herz-Kreislauf-Stillstände, die nicht genug beachtet wird. Lasst uns einen verunfallten Motorradfahrer als Beispiel nehmen, der bewusstlos zu Liegen kommt: multiple Extremitätenfrakturen, keine bedrohliche Blutung nach außen, bewusstlos und apnoeisch. Wer nun Justus‘ Beitrag gelesen hat (nochmals: TCA: Drücken ist zwecklos – und den Beitrag haben verdammt viele Leute gelesen), wäre nun vielleicht verleitet, diesem Patienten keine Thoraxkompressionen zukommen zu lassen. Atemwegssicherung, Beatmung und Entlastung sind ohne Thoraxkompressionen logistisch einfacher, argumentiert Justus.

Meiner Meinung nach folgt spätestens nach erfolgreicher Atemwegssicherung und Beatmung der Moment, ab dem Thoraxkompressionen zwingend nötig sind, wenn der Patient an einer hypoxischen Genese verstirbt. Hypoxie ist Sauerstoffmangel im Gewebe. Und der lässt sich nur dann beheben, wenn Sauerstoff aus der Lunge auch zum Gewebe transportiert wird.

Und wer unseren Motorradfahrer nun beatmet und den Brustkorb komprimiert, der löst eventuell auch das Hauptproblem. Abgesehen davon, dass das Hirngewebe die geringste Hypoxietoleranz hat, wissen wir auch, dass das Gehirn nach Trauma auf normokapnische Werte angewiesen ist. Keine Ventilation und keine eliminierende Perfusion bedeutet: Hyperkapnie. Und das ist definitiv schädlich.
Trotzdem müssen natürlich sämtliche anderen, von Justus richtig beschriebenen Maßnahmen ergriffen werden, aber wenn wir bei IBA richtig retten wollen, dann brauchen die Patienten frühzeitig Sauerstoff und weniger Kohlenstoffdioxid. Im Gewebe, nicht nur in der Lunge.
Es gibt in der Tat einzelne Fallberichte in der Literatur, wo Patienten mit SHT im TCA angetroffen wurden, lediglich CPR-Basics erhalten haben und im weiteren Verlauf ohne neurologische Defizite das Krankenhaus verlassen konnten. Diese Patienten hatten also keine schwere Hirnverletzung im Sinne einer primären Schädigung, sondern eine Apnoe infolge eines Schlags gegen den Kopf. Diese Patientengruppe rettet ein sicherer Atemweg, eine suffiziente Beatmung, und ein (künstlicher) Kreislauf. Eine beachtliche Anzahl an Obduktionen erfasst als Todesursache Hirnschädigungen, welche auf Anoxämie zurückzuführen sind und eben nicht die häufig vermuteten massiven Blutungen oder das direkt verletzte Hirnparenchym.

Primärer und sekundärer Hirnschaden

Die Ätiologie des Hirnschadens beim SHT wird gemeinhin zwischen primär und sekundär unterteilt. Der primäre Hirnschaden hat seinen Ursprung am Zeitpunkt des initialen Aufpralls (oder mehrfach bei multiplen Traumata) und ist für uns als Rettungskräfte nicht zu beeinflussen. Allerdings verbleiben wir immer im Ungewissen, wie ausgeprägt der initiale Hirnschaden überhaupt ist (Wenn also ein Patient mit Kopfverletzung reanimiert wird, ist uns der exakte Grund für den Kreislaufstillstand nicht bekannt. Möglicherweise liegt IBA vor. Oder der Patient verstirbt gerade an einer Hämorrhagie, wer weiß?)
Unsere Aufgabe ist es also, sekundäre Hirnschäden zu vermeiden. Drei wichtige Dinge sind dabei zu bedenken:

1. Normalerweise ist unser Gehirn zur Autoregulation fähig. Also ist der Blutfluss durch unser Gehirn ist nahezu konstant, egal ob wir stehen, sitzen, liegen, rennen, schlafen, hyper- oder hypoton sind. Die Gefäße im Gehirn justieren sich autonom, und garantieren damit den richtigen Durchfluss. Das nennen wir den cerebralen Blutfluss (CBF).

2. Unser Gehirn ist sehr empfindlich. Es mag Normwerte. Ob nun Blutglukose, CO2, O2 und so weiter, unser Gehirn mag weder zu viel noch zu wenig davon.

3. Wenn das Gehirn verletzt ist, dann versagt die o.g. Autoregulation. Sie versagt auch bei massiv pathologischen Werten und gewissen Vergiftungen.
Also ist die Durchblutung vom Gehirn vom Cerebral Perfusion Pressure (CPP) abhängig – ihr erinnert euch an die Formel?

MAP – ICP = CPP

Wir müssen also den MAP aufrecht erhalten. Und jetzt wird es gemein: Wenn wir auf die Thoraxkompressionen verzichten (zugunsten von „sexy“ Maßnahmen wie Intubation, Thoraxdrainagen, IV-Zugang, Beckenschlinge, TXA, Volumen, ggf. Thorakotomie), dann ist die zerebrale Durchblutung länger unterbrochen als nötig.

Zwecklos?

Die Herzdruckmassage ist nur dann zwecklos, wenn das Herz verletzt ist (Perikardtamponade), kein Blut mehr zum Pumpen da ist (massive Hypoperfusion / Exsanguination), oder ein fulminanter Spannungspneumothorax vorherrscht. Nicht jeder Patient im Herzkreislaufstillstand nach Trauma hat eines dieser Probleme. Impact Brain Apnea erklärt gut, warum Leute nach schwerem Trauma einen Herzkreislaufstillstand haben könnten, auch ohne die genannten reversiblen Ursachen.  Und in Justus‘ Tabelle wird auch noch die Hypoxie durch Apnoe genannt, bei der eine Herzdruckmassage nicht helfen soll. (Warum ich das anders sehe, steht ja jetzt weiter oben.)

KISS

Ich finde, Notfallmedizin muss (zumindest immer dann wenn es stressig wird) auf einfache Grundregeln reduziert werden und Standards folgen. Ein Arzt, der meine Einstellung zu Arbeit und Notfallmedizin entscheidend geprägt hat, sagte einmal:

„Notfallmedizin ist Sauerstoffversorgung und Zeitmanagement“.

Klar, mir und euch fallen in Ruhe tausend Dinge ein, die Notfallmedizin auch noch abdeckt. Aber wenn ein Patient Nachts um drei auf der Landstraße im Nieselregen schwerstverletzt auf der Straße liegt, und zu allem Überfluss noch agonal atmet, dann hilft es mir mehr, meine Weltanschauung auf sehr einfache Grundzüge zu reduzieren, bis ich das wichtigste nach ABCDE abgearbeitet habe. Ich muss nicht über den Zielblutdruck nachdenken, wenn der verlegte Atemweg in 2 Minuten meinen Patienten tötet.

1024px-KISS_in_concert_Boston_2004

Keep it simple & stupid! = KISS

Und genau das bildet auch der gängige Algorithmus zu Herzkreislaufstillstand sicher ab, wird aber in den letzten Jahren ganz schön unter Beschuss genommen. Dabei bietet er einem gestressten, kleinen Team einen Fahrplan für die ersten Minuten einer kritischen Situation und deckt die häufigsten Herausforderungen ab. Ich kann nicht immer in den ersten 60 Sekunden erfassen, ob mein Patient von Thoraxkompressionen profitiert – ich kann es nur mutmaßen.

Das Problem bei TCA: man muss ihn erstmal erkennen. Dazu noch ein weiteres Beispiel: Ein Patient wird unter Arrest aus einem verunfallten PKW gerettet. Hatte er erst einen Myokardinfarkt oder erst eine schweres Trauma? Ist der Kreislaufstillstand in malignen Herzrhythmusstörungen oder in einer Perikardtamponade begründet? In unklarer Lage Standardmaßnahmen wie Thoraxkompression und Analyse/Defibrillation zugunsten reiner Traumaversorgung vorzuenthalten kann zu Patientenschädigung führen!

Mein Plädoyer:

Drücken ist meistens nicht zwecklos. Fangt initial mit dem Universalalgorithmus an, wenn ihr euch nicht hundertprozentig sicher seid, dass der Patient eine Herzbeuteltamponade, einen Spannungspneumothorax oder eine massive Hypovolämie hat. Zieht zu Anfang die Standard-Rea durch und nutzt die erkaufte Zeit darüber nachzudenken, ob eure Maßnahmen indiziert sind und ob es reversible Ursachen gibt. Und wenn das Team an Personalstärke zunimmt, kann man gerne reevaluieren ob etwa die Herzdruckmassage unterbrochen werden soll, während ein Team mit Equipment & Expertise zum Beispiel eine Clamshell-Throakotomie durchführt. Und sollte initial beim Patienten mit penetrierendem Thoraxtrauma in die Cardiac-Box ein High-Performance-Team auftauchen, und alle sich einig sind, dass eine Clamshell-Thorakotomie indiziert ist, kann man gerne auf die Herzdruckmassage verzichten.

Und by the way: viele Dinge kann man sehr wohl auch während der Herzdruckmassage durchführen. Das ist HOT! (Danke an Carlos und seine PowerPoint-Skillz)

HOT CPR

Wie seht ihr das? Lasst uns gerne diskutieren und Erfahrungen austauschen. Justus, Aurelia und ich haben das bereits leidenschaftlich in Zermatt bei #BigSick20 diskutiert.

Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.

 

Literatur:

https://www.mayoclinicproceedings.org/article/S0025-6196(11)64254-7/fulltext

 2016 Aug;105:52-8. doi: 10.1016/j.resuscitation.2016.05.007. Epub 2016 May 20.
Arch NeurPsych. 1945;53(5):333-354. doi:10.1001/archneurpsyc.1945.02300050007002
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9 Kommentare

  1. Wieviel Aussagekraft hätte ein unter suff. HDM tastbarer Femoralispuls? Wäre das ein Indiz gegen die Clampshell? (Weil – entweder die HDM ist suffizent & das Herz ist grundsätzlich auswurffähig oder aber der Pat. hätte sogar schon wieder ROSC) 🤔

    Nur so ein Gedanke, wohlwissend, dass ein „sicher“ zu tastender Femoralis- oder Carotispuls unter HDM in der Praxis eine große Herausforderung ist!)

    1. Schöner Gedanke, aber Puls tasten als Pulscheck ist ungenau und insb unter HDM würde ich es generell nicht tun, laut Literatur gut möglich dass wir eig nur die venöse Pulsation der Vena fem spüren.

  2. Ja, aber wenn ich ein zusätzliches Kriterium für Clampshell Ja/Nein bräuchte (und kein Sono greifbar wäre), dann würde ich diesen schnellen, einfachen und nicht-invasiven Abgleich wagen…

    1. …und was wenn der Druckpunkt der HDM nicht ganz stimmte…wie willst du das unterscheiden?
      Ich finde, da hilft nur Ultraschall

  3. Vielen Dank für diesen tollen und wichtigen Beitrag! Nebenbefundlich macht mir das aber auf erschreckende Weise klar, warum ich diesem ganzen FOAM Trend doch sehr kritisch gegenüber stehe. Eloquente und und leider oftmals sehr von sich überzeugte „Influencer“ können ungefiltert Ihre Meinung als Fakten in den Umlauf bringen und stoßen dabei auf ein oftmals zu unkritisches Publikum. Ich finde das Engagement vieler Blogger wirklich sehr bewundernswert und freue mich, wenn jemand für die Notfallmedizin brennt. Auch den Versuch, verkrustete Publikationswege aufzubrechen finde ich lobenswert, aber der Peer Review VOR einer Veröffentlichung hat definitiv seine Berechtigung. Sonst besteht die Gefahr, dass kritische Diskussionen im Nachhinein nicht mehr das Publikum erreichen, das eine als -wenn auch gutgemeinte- Einzelmeinung für den neusten heißesten Shice gehalten hat.

  4. Vielen Dank für Ihre Einschätzung.

    Zwei Gedanken dazu:
    1) der reflektierte Leser wird sich immer seine eigene Gedanken zu Artikeln die er liest, egal ob NEJM oder dasFOAM.

    Es gibt bei uns einen informellen Peer Review Prozess, und es wird durchaus diskutiert, ob und wie etwas publiziert wird.

    Auch die formellen Peer Reviews sind bei weitem nicht perfekt, die ganzen gefälschten HES Studien wurden nach Peer Review in high impact Journals publiziert- offensichtlich haben die Reviewer den P-Wert nicht gegengerechnet.

    2) die Freiheit, auch mal provozierende, oder absolutistische Aussagen zu treffen finde ich grade wertvoll. Ja, es bedarf der kritischen Auseinandersetzung, aber gleichzeitig regt es mehr zum nachdenken an, als ein seichter Artikel über „könnte“, „vielleicht“, „abwägen“.

    Letztlich ist es wichtig, dass ein Leser immer kritisch mit jeder Quelle umgeht, und mein Artikel soll beitragen zum Diskurs, genau so wie der Artikel von Justus. Anspruch auf die absolute Wahrheit erheben wir nicht.

    Mit freundlichen Grüßen

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