Notfall-EKG Checkliste

Ein Gastbeitrag von Stefan Pieper (@_pieps)

Ich gebe hin und wieder einen EKG-Kurs für ärztliches und Rettungsfach-Personal. Für diesen Kurs habe ich ein Handout entworfen, das bisher sehr positiv aufgenommen wurde. Es soll Anfänger*innen durch die EKG-Befundung führen und ihnen helfen möglichst keine kritischen Befunde zu übersehen. Dieses Handout steht euch nun hier zum Download zur Verfügung. Viel Spaß damit!


Jede Hilfestellung für den Alltag, die man sich entscheidet in die Tasche zu stecken, vertritt eine gewisse Philosophie. Daher will ich hier die Entstehung der EKG-Checkliste vermitteln und welche Überlegungen hinter der Wiedergabe der einzelnen Parameter stehen.
Eine der Herausforderungen in der (Notfall-)Medizin ist es, die Basics zuverlässig wieder und wieder abzuarbeiten: Sei es draußen bei Regen und Kälte, sei es in den letzten Minuten eines langen Dienstes.
Bei der Vielfalt an möglichen Herausforderungen hilft eine klare Struktur insbesondere Berufsanfänger*innen und Unerfahrenen dabei, Fehler zu vermeiden. Viele von uns greifen hierfür auf Checklisten, Algorithmen, Spickzettel oder Standard-Operating-Procedures (SOPs) zurück.
Als ich meinen ersten EKG-Kurs halten durfte, habe ich viel nach einem Befundungsalgorithmus für EKGs gesucht aber leider wenig Gutes gefunden (1) und mich schließlich entschlossen, selbst etwas zu entwerfen. Über mehrere Kurse hinweg hat die Checkliste immer weitere Entwicklungen erfahren und ihre jetzige Gestalt angenommen.
Unbedingte Ziele waren:
- Alles muss auf eine A4-Seite passen
- Möglichst wenig Komplexität
- Parameter sollten zu einer (therapeutischen) Konsequenz führen (können)

An wen richtet sich die Checkliste?

Ich formuliere es mal inklusiv: An jede*n, der sie benutzen möchte. Hilfreich ist sie sicherlich für diejenigen, von denen erwartet wird, EKGs in Akutsituationen auszuwerten. Insbesondere kann sie Lernenden helfen, eine Grundstruktur beim Befunden zu entwickeln, bis sich eine Routine entwickelt hat.
In meinen Kursen nutze ich die Checkliste als „roten Faden“ auf den wir immer wieder zurückgreifen. Ein solides Grundwissen über Erregungsausbildung, -über-, und -fortleitung wird vorausgesetzt.

Wie ist sie aufgebaut?

Die linke Spalte auf der Vorderseite (Seite 1) bildet den Befundungsablauf ab. Die rechte Spalte bietet Referenzen für verschiedene Abschnitte der linken Spalte, diese Referenzen beginnen oben bei „Basics“ und landen am Seitenende bei Spezialwissen für Sondersituationen.
Auf der Rückseite (Seite 2) oben findet sich ein Befundbaukasten, mit dem schriftliche EKG-Befunde nach dem Textbaustein-Prinzip zusammengesetzt werden können. Unten sind die Standard-Elektrodenpositionen noch einmal abgebildet, vor allem um die Checkliste auch zum Teaching nutzen zu können.

Wie kommt es zu der Themenauswahl?

Ziel der Checkliste soll sein, mit möglichst wenig Aufwand zu einem möglichst aussagekräftigen Befund zu kommen.
Natürlich lassen sich problemlos noch mehr Abwägungen und detailliertere Differenzierungen unterbringen, damit würde die Checkliste aber vor allem komplexer, nicht zwingend besser. Die Checkliste ist für Notfall-EKG konzipiert, entsprechend werden vor allem Befunde genannt, die hier und jetzt eine Konsequenz haben.
Aus diesem Grund sind auch Befunde aufgenommen, die eine „Anamnese aus dem EKG“ ermöglichen.

Der Befundungsablauf im Detail:

  1. Kontext
    Jedes EKG steht in einem klinischen Kontext. EKG, denen dieser Kontext fehlt, sind für die Befundung im Prinzip wertlos, daran soll dieser Punkt (weil oft vergessen!) erinnern.
  2. Technisches
    Um Befundungsfehler zu vermeiden, sollen die technischen Bedingungen bewusst zur Kenntnis genommen werden.
  3. Rhythmus
    Hier weicht die Checkliste zum ersten Mal deutlich von den Standards der „Buchstabenkurse“ ab, in denen oft die „7 Fragen an den Rhythmus“ für die Rhythmusdiagnose genutzt werden. Das hier genutzte Schema ist zweigeteilt: für kritische Fälle die essentiellen Feststellungen für die Therapie nach ALS-Tachykardie und -Bradykardiealgorithmus; für weniger kritsche Fälle die Entscheidung auf Basis des Verhältnis P:QRS.
  4. Lagetyp
    Für die Ermittlung des Lagetyps stehen zwei Hilfsmittel auf der rechten Seite zur Verfügung. Das Konzept des „no man’s land“ wird vermittelt um ventrikuläre Tachykardien bzw. Extrasystolen leichter als solche erkennen zu können.
  1. Detaillierter Befund
    Dieser Teil ist überwiegend selbsterklärend. Einige Parameter werden genannt, da damit auch eine „Anamnese“ aus dem EKG möglich ist (z.B. bzgl. Rechtsherzbelastung, KHK, …)

• Blockbilder: Zur Diagnostik wird der OUP (obere Umschlagspunkt) genutzt, da wesentlich verlässlicher als die klassisch vermittelte W-M-Konfiguration.

• ST-Strecken / OMI: auf die Begrifflichkeit des STEMI wird verzichtet, da diese formell zwar noch existiert, aber letztlich durch andere Bezeichnungen ersetzt wurde: Acute Coronary Occlusion (ACO) bzw. Occluding myocardial Infarction (OMI). Hinter den veränderten Begrifflichkeiten steht die Hoffnung anhand von bestimmten Hochrisiko-EKG-Befunden diejenigen Patienten zu erfassen, die von einer frühzeitigen Katheterintervention bei Ischämie profitieren. Der aktuelle „Trend“ geht zur Bezeichnung Occluding myocardial Infarction (OMI), wie bei dasFOAM schon intensiv diskutiert (Das OMI-Manifest Teil 1, Teil 2 und Teil 3).

  1. Zu guter Letzt:
    Immer wieder wird vernachlässigt, Folge-EKGs aufzuzeichnen. Hieran erinnert dieser letzte Punkt.

Zum Spezialwissen für Sondersituationen

Mit dem Bereich „Spezialwissen für Sondersituation“ könnte man ganze Bücher füllen, trotzdem werden „nur“ die Lewis-Ableitung, die modifizierten Sgarbossa-Kriterien und die R-Wave-Peak-Time vorgestellt.
Das hat mehrere Gründe: Die hier genannten Hilfen kommen mit sehr wenig Parametern aus, sind also wenig komplex. Sie helfen in schwierigen klinischen Situationen sinnvoll weiter:

  • Die Rhyhtmusdiagnostik entscheidet im Alltag oft über „Antikoagulation ja oder nein“
  • Pacer und Linksschenkelblöcke verändern das EKG so, dass man noch vielfach hört „der hat einen Block, da kann ich über die ST-Strecken gar nichts sagen“. Ja, die modifizierten Sgarbossa-Kriterien sind gut für den „Rule-in“ jedoch nicht sehr geeignet für den „Rule-out“, gehen aber deutlich über „nichts sagen“ hinaus.
  • Der Goldstandard für die (mindestens im innerklinischen Alltag) relevante Unterscheidung SVT mit Block vs. VT ist der Brugada-Algorithmus. Dieser ist jedoch recht komplex und benötigt relevante klinische Erfahrung. Die R-Wave-Peak-Time (übrigens auch von den Gebrüdern Brugada entwickelt) ist der am besten performende Einzelparameter für die Unterscheidung. Nimmt man weitere einfache Hilfen wie Lagetyp und Sgarbossa hinzu, ergibt sich die Diagnose sicher genug.

Es sollte nicht vergessen werden, dass dieses Spezialwissen nicht grundlos am Ende der Checkliste steht: Zum Zeitpunkt, wo diese Punkte abgearbeitet werden ist längst die Entscheidung gefallen, dass die Patient*in „klinisch stabil“ ist und eine (kurze) weitere diagnostische Abwägung vor Therapie möglich ist.

Über den Autor

Stefan Pieper (@_pieps) hat seine medizinischen Wurzeln im Ehrenamt einer großen Hilfsorganisation und der Intensivkrankenpflege. Er ist auf dem Weg zum Facharzt für Allgemeinmedizin.


Referenzen

  1. Bildnachweise
    Die anatomischen Abbildungen wurden mit dem Human Anatomy Atlas von VisibleBody erstellt und dann nachbearbeitet. VisibleBody gestattet unter bestimmen Umständen die kostenfreie Verwendung von Grafiken aus dem Programm. Thanks to @visiblebody!
    Das Ausgangsmaterial für die EKG Kurven der OMI-Befunde stammt von ecg-quiz.com, bzw. von ecgpaedia.org und wurde nachbearbeitet. Inhalte der ECGpaedia sowie von ECG-Quiz stehen unter der gleichen Creative-Commons-Lizenz wie diese Checkliste.
  2. Quellen
    (1) zu den wenigen guten Dingen, die ich fand gehört unbedingt:
    Der EKG-Knacker: das Notfall-EKG-Buch, Thomas Dietz, ISBN-13: 978-3110190595, ca. 25€. Das Buch präsentiert einen spannenden Diagnose-Algorithmus, der auf Basis von 8-10 entweder/oder-Entscheidungen zu einer Diagnose kommt. Das einzige EKG-Buch, das ich bisher gekauft habe und dessen Kauf ich nie bereut habe!
    (2) Fourth Universal Definition of Myocardial Infarction - ESC Clinical Practice Guidelines
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6 Kommentare

  1. Gerade wegen der Kompaktheit (und weil man merkt, dass es über einen längeren Zeitraum immer wieder mit viel Nachdenken und Nacharbeiten verbessert wurde) echt hervorragend!

  2. Super Checkliste! Kleines Haar in der Suppe: Die Höhe der Brustwandableitung von V5 und V6 ist nicht der 5. ICR sondern die Höhe von V4 (im 5. ICR). Da die Rippen nach lateral-dorsal nach kranial „ansteigen“, würden V5 und V6 sonst etwas höher geklebt. In diversen EKG-Büchern oder sonstigen Quellen wird aber beschrieben, dass sich V4, V5 und V6 auf einer Höhe befinden. (Trappe/Schuster; Horacek, etc.) Selbst auf Wikipedia sind die Grafiken geändert worden.

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