Die neue Leitlinie zum Akuten Coronar Syndrom ist auf dem Kongress der europäischen Gesellschaft für Kardiologie in Amsterdam veröffentlicht worden und hat es in sich. Hier ist sicher eine der größten Fortschritte und Paradigmawechsel der letzten Jahre zu finden. Das STEMI-Konzept ist eigentlich überholt und nicht mehr zeitgemäß, wir bei dasFOAM sind schon von der ersten Stunde an überzeugt, dass das OMI-Konzept massive Vorteile bietet. Auch in der Leitlinie kann man jetzt sehen, dass
ein Umdenken und eine Dynamik in der Wertung der Ereignisse zu finden ist. Schon auf den ersten Seiten der Leitlinie und in den ersten Grafiken zeigt sich der Wechsel von Schubladendenken hin zu einem Spektrum.
Auch weiterhin wird es “STEMI” als Diagnose und Pathway-Marker geben, aber nicht wie früher als getrennte Leitlinien sondern endlich in einer einzelnen umfassenden Leitlinie. Naturgemäß ändert sich dann auch an der Empfehlung einen STEMI sofort zu katheterisieren nichts, interessanter wird es daher bei den NSTE-ACS. Gerade Hochrisiko NSTEMIs (…OMI…) sind ja häufig mit einer viel komplexeren Koronaranatomie verknüpft als der klassische STEMI. Das wird in der Leitlinie jetzt dementsprechend mehr gewichtet, da dies noch mal deutlicher Richtung Intervention bei der richtigen Indikation verschoben wird.
ACS = Akutes Coronar-Syndrom oder doch Abnormales EKG, C(K)linischer Eindruck, Stabil?
Aus der Notfallmedizin kennen wir Akronyme und Algorithmen anhand von Buchstabenfolgen schon länger, dies wird in der aktuellen Leitlinie auf das Koronarsyndrom und seine Abkürzung ACS ausgedehnt. Hier wird es mit dem A für ein abnormales EKG, mit einem C für den klinischen Kontext und einem S für die Stabilität interpretiert. Aus der Zusammenschau dieser Befunde und Eindrücke soll sich dann die weitere Risikostratifizierung und insbesondere Therapie ableiten.
Heparin wann?
Interessanterweise wird die Diagnose an den Schluss gestellt. Und auch hier zeigt sich noch einmal, dass die Therapie erst mit Diagnose einzuleiten ist. Das bedeutet für uns sowohl in Präklinik wie Klinik, dass nur beim STEMI, der direkt in den Herzkatheter geht, Heparin zu geben ist. Heparin ist hier ein ausschließlich peri-interventionelles Medikament für die Intervention selbst. Für NSTE-ACS soll sich die Auswahl anhand der Revaskularisierungsstrategie orientieren. Hier ist Enoxaparin Heparin vermutlich überlegen, noch sind die Empfehlungen aber bei Heparin, was ich persönlich nicht ganz verstehen kann. Warum soll ich jetzt Heparin geben, das vielleicht 90 Minuten lang wirkt, wenn die Zielwirkung erst zum Herzkatheter in 6 Stunden relevant ist. Bei verzögerter Revaskularisation (>24h) wird Fondaparinux empfohlen. Wir müssen also auch weiterhin nicht in jeden Brustschmerz, den wir ACS nennen, Heparin reinpressen. Selbst bei stehender Diagnose sollte ein niedermolekulares Heparin vorgezogen werden, was bedeutet, dass wir hier ohne Zeitdruck arbeiten können und sollten.
Troponin - wann, wie oft und warum?
Bei mittlerweile wirklich extrem großer Evidenz bezüglich der hochsensitiven Troponine ist es möglich 0 und 1 Stunden Algorithmen zu fahren, auch wenn die Symptome gerade frisch sind. Hier zeigt sich eines der großen Defizite dieser Leitlinie für uns im Alltag: Zahlreiche Patient:innen präsentieren sich ja nach 3 Stunden ohne Dynamik in Ihrer Symptomatik und brauchen daher keine Kontrolle. Die Leitlinie empfiehlt aus Sicherheitsgründen (und um den Ablauf immer gleich zu halten), dass bei allen Patient:Innen das 0/1 Stundenschema gefahren wird. Hier wird von einem Anteil von 10-15% gesprochen. Nach meinen Erfahrungen mit den Leitlinien der ESC handelt es sich hier um gefühlte Einschätzungen und keine wirklichen Real-Life-Daten. Für uns in der Notaufnahme wird sich hier wenig ändern, ich würde sogar so weit gehen und auch weiterhin auf eine zweite Troponinkontrolle bei länger anhaltenden Beschwerden verzichten.
Wer wird schneller kathetert?
Eine frühe Revaskularisation bzw. invasive Strategie innerhalb von 24 Stunden wird bei folgenden Patient:innen empfohlen:
- bestätigter NSTEMI anhand der hsTroponine gemäß ESC Algorithmus
- EKG-Dynamik (sowohl der ST-Strecken, als auch der T-Wellen)
- hoher GRACE Score > 140
aber auch bei Hochrisiko-Merkmalen:
- Hämodynamisch instabil oder Schock
- Beschwerde-/Schmerzpersistenz trotz adäquater Therapie
- Lebensbedrohliche Arrhythmien
- Mechanische Komplikation
- Akute kardiale Dekompensation mit dem C von CHAMP als Ursache
Als Kardiologe freut mich natürlich, dass der radiale Zugang als Level IA - Empfehlung drin steht. Ich habe den femoralen Zugang nie wirklich gelernt.
EKG - mehr als STEMI?
Eine der wichtigsten notfallmedizinischen Publikationen des 21. Jahrhunderts ist nach wie vor das Bild von Antoine Ayer mit den STEMI-Äquivalenten. Alleine in den Notaufnahmen, in denen ich gearbeitet habe, hat dieser Überblick mehr Leben gerettet als alle Intubationen zusammen. Davon findet sich jetzt immer mehr in den Leitlinien. Diesmal dazu gekommen, auch wenn noch nicht als STEMI-Äquivalent bezeichnet: de Winter und Wellens. Es wird. Auch wenn die ESC offensichtlich den Begriff OMI/NOMI noch scheut wie der Teufel das Weihwasser. Leider finden sich diese EKG-Beispiele im Supplement und nicht in der zentralen Leitlinie.
Und was ist nun mit Frauen?
Endlich wird mit einem alten, sehr gruseligen Vorurteil aufgeräumt, das nachweislich zu einer schlechteren Versorgung von Frauen in der Herzinfarkttherapie geführt hat. Es wird endlich nicht mehr unterschieden nach Geschlechtszugehörigkeit, es gibt keine Daten, die das je unterstützt hätten. Es wird eher darauf hingewiesen, dass ungewöhnliche Symptomkonstellationen uns wachsamer werden lassen sollten.
Aus Gründen der Aktualität und der Lesbarkeit haben wir primär einen Teil der für uns in mobiler wie klinischer Notfallmedizin relevanten Aspekte heraus gearbeitet, nicht die komplette Leitlinie en detail zusammengefasst. Wie immer gilt: es lohnt sich, die Originalpublikation zu lesen.
Wie immer gilt: Der Einzelfall entscheidet. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position des Autors dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von dasFOAM.
Quellen (auch für die Bilder):
2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes (escardio.org)
Danke für die Zusammenfassung in aller Kürze! Wie siehst du das, Felix? Bei Anforderung der Troponinwerte in 0/1h sollte man darüber nachdenken, zukünftig Tests (Schnelltests?) auf präklinischen Rettungsmitteln (RTW / NEF) zu verlasten? Könnte hier ein qualitativer Benefit zu erreichen sein? Es ist vielleicht nicht DER Benefit für die präklinische Versorgung, aber eine sinnvolle Verzahnung der Diagnostik von Präklinik zu Klinik.
Und ab wann gibts coole QR-Code-Kärtchen für die Heparin-Indikation und die Übersicht der OMI-EKG? 😉
Dafür bräuchte man high sensitive Essays, ich bezweifle, dass die präklinisch zum Einsatz kommen können, sehe aber den Mehrwert auch nicht. Lediglich bei Patienten die typische ACS Symptomatik seit >3h haben, könnte man hiermit ein rule out durchführen.
Danke für die schöne Zusammenfassung.
Du schreibst, dass Heparin nur noch bei STEMI vor dem Herzkatheter gegeben werden soll. Kann es nicht sogar laut neuer Leitlinie auch erst BEI der Intervention gegeben werden? (“Unfractionated heparin has been established as the standard of care in patients with STEMI undergoing PPCI due to its favourable risk/benefit profile. In these patients, anticoagulation should be given during the invasive procedure.”).
Und was ist mit ASS? Bei First medical contact bei jeglichem ACS oder auch erst zur Intervention? Oder nur beim STEMI? Für das Ticagrelor/Prasugrel ist das jetzt ja anscheinend klar - es reicht zur Intervention.
“Selbst bei stehender Diagnose sollte ein niedermolekulares Heparin vorgezogen werden, was bedeutet, dass wir hier ohne Zeitdruck arbeiten können und sollten.”
Das trifft meines Erachtens laut Leitlinie nicht zu, Heparin hat die ganz klare Ia Empfehlung bei PCI 24h.
Meine kardiologischen Oberärzte haben sich diesbezüglich auf eine Studie bezogen (die ich bislang noch nicht gefunden habe 😃) in der bei crossover Gabe von Enoxaparin und dann unmittelbar präinterventionell UFH sich ein schlechteres Outcome gezeigt hat was Blutungsereignisse anbelangt.
Die einhellige Auffassung war, dass man wenn die PCI verzögert stattfindet eben nochmal UFH geben sollte.
Leider bestehen im Hinblick auf die Frage der präklinischen Gabe einer thrombozytenaggregativen Therapie / Heparin v.a. beim NSTE-ACS weiterhin viele Fragezeichen (zumindest bei mir).
Ich finde es schade, dass dieser Themenkomplex in der aktuellen Leitlinie so wenig beleuchtet wird. Mir ist bewusst, dass es kaum Evidenz gibt (s. aktueller Beitrag der Kollegen Braumann et al. aus Köln) Aber man hätte ja dieses “schwarze Loch” aufgreifen und thematisieren können um so vlt. die Praxis der (präklinisch) historisch bestehenden eher reflexartigen Gabe von ASS/Heparin bei jeder Art von Thoraxschmerz etwas aufzuweichen.
Wenn ich die Leitlinie richtig verstehe, ist die Gabe von ASS aber weiterhin bei jedem Verdacht auf ACS/Ausschluss ACS erstmal indiziert, wenn keine anderweitigen Kontraindikationen vorliegen, richtig? Nur die Heparingabe wird deutlich restriktiver.