Scripted Debriefing nach PEARLS

Debriefing ist der zentrale Teil in der Simulation von medizinischen Settings, bei dem die just gemachte Erfahrung aus der Simulation durch Reflexion in gefestigte Lerninhalte übertragen werden soll. Um dies den Teilnehmern zu ermöglichen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Walter Eppich und Adam Cheng haben 2015 mit PEARLS (Promoting Excellence and Reflexive Learning in Simulation) ein Debriefing-Script veröffentlich, in dem ein Fahrplan für das Debriefing vorgestellt wird, der mehrere Debriefing-Strategien integriert und Phrasen vorschlägt, mit denen die einzelnen Schritte eröffnet werden können. Dies gibt dem Debriefer eine gefestigte Struktur, ermöglicht zwischen verschiedenen aktuelle Debriefing- Strategien zu wechseln und beschreibt einen Ablauf, der einen Qualitätsstandard definiert.
Besonders Novize-Debriefer können von einem scripted Debriefing profitieren, da sie oft während der Simulation durch die Beobachtung und der gedanklichen Verarbeitung des Geschehens und dem Versuch der Strukturierung des Debriefings die Grenzen ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit erreichen. Diese Belastung kann durch ein Script verringert werden.
Der Rahmen des integrierten Debriefings nach PEARLS beginnt mit einer Einführungsphrase in den Debriefing-Teil der Simulation. Dann folgen vier Abschnitte: Die initiale Reaktion als emotionale Entlastung der Teilnehmer, eine kurze Falldarstellung des aktuellen Falles, die Analyse der während der Simulation aufgefallenen Ereignisse und die Zusammenfassung mit Take- home- Messages.
Im Folgenden werde ich die einzelnen Phasen mit ihren vorgeschlagenen Phrasen vorstellen und den edukativen Sinn der einzelnen Abschnitte erklären. Insgesamt ist das organisierte und integrierte Debriefing nach PEARLS trotz allem Scriptings immer noch ziemlich komplex und ich habe versucht, die essentiellen Punkte aus dem Artikel verständlich ins Deutsche herunterzubrechen. Besonders der Analyse- Teil hat es in sich, insbesondere, wenn man sich noch nicht intensiv mit Debriefing beschäftigt hat.
Einführungs- Phrase:
„Wir haben jetzt (z.B. 20 Minuten) Zeit, um den Fall zu besprechen. Als Erstes möchte ich wissen, wie Sie sich fühlen, jetzt, nachdem die Simulation fertig ist. Danach sollte einer von Ihnen den Fall beschreiben, damit wir sicher sind, daß wir alle von dem Selben reden. Anschließende besprechen wir was gut war und was Sie das nächste Mal anders machen würden und warum Sie es anders machen würden. Ich bin gespannt darauf zu erfahren, was Ihnen durch den Kopf ging, an den verschiedenen Punkten. Zum Schluß können wir ein oder zwei Take -home-Messages formulieren und überlegen, wie Sie das Gelernte in Zukunft klinisch anwenden können.“
Damit wird den Teilnehmern der Weg bereitet, der sie durch das Debriefing führt. Dies ist für das erste Szenario wichtig. Wenn mehrere Simulations- Einheiten durchgegangen werden, kann diese Einführung gekürzt oder weggelassen werden, da nach dem erstem Mal ja der Ablauf in etwa bekannt sein sollte.
Anschließen beginnt das eigentliche Debriefing:
1.) Entlastungs- Phase
Phrasen: „Wie fühlen Sie sich?“
„Gibt es noch weitere Reaktionen?“
„Wie geht es den Anderen von Ihnen?“
Dies erlaubt den Teilnehmern initial ihre Gefühle und Gedanken zu äußern. Dadurch kommt es zu einer Entlastung von emotionalen Spannungen und gibt dem Debriefer die Möglichkeit die Themen und die Schlüsselereignisse, die die Teilnehmer bewegen, zu erfahren.
2.) Falldarstellung
Phrasen: „Wer könnte den Fall aus medizinischer Sicht zusammenfassen, so daß wir alle auf dem selben Stand sind? Was waren die Hauptpunkte, mit denen Sie konfrontiert waren?“
„Was ist dann passiert?“
„Was haben Sie für den Patienten getan?“
Durch die Zusammenfassung der Kernpunkte und medizinischer Probleme durch einen Teilnehmer wird sichergestellt, daß die Teilnehmer und der Debriefer eine identische Basis haben, um den Fall zu analysieren und erlaubt weiterhin dem Debriefer Kernpunkte für die Analyse zu identifizieren. Sollte das Verständnis des abgespielten Szenarios zu weit von dem realen Ablauf abweichen oder die Zusammenfassung in eine Nacherzählung ausufern, muss der Debriefer eingreifen, um die Schlüsselpunkte hervorzuheben.
Während der Entlastungs- Phase und der Falldarstellung erfolgt die Auswahl der Lehr- Inhalte.
Bis zur Analyse- Phase muss der Debriefer für sich festlegen, welche Lehrinhalte und Schlüsselereignisse behandelt werden sollen und mit welcher Lehr- Strategie er diese behandeln will. Dabei spielen die Themen der Teilnehmer eine große Rolle, die in der Entlastungsphase und der Fallbeschreibung geäußert wurden. Wenn diese mit dem Erwartungshorizont der Lehrinhalte übereinstimmen, sollten diese als Erste behandelt werden, um zum Ende noch die fehlenden Einheiten zu thematisieren.
PEARLS Auswahl Lehr- Inhalte
3.) Analyse- Phase
Hier eröffnet sich die Möglichkeit, je nach Inhalten der Simulation, des Settings, der Zeit, der Erfahrung des Debriefers und der Teilnehmer und der Bedürfnissen der Teilnehmer zwischen verschiedenen Debriefing- Strategien zu wählen. Als drei Hauptstrategien werden die Selbsteinschätzung der Teilnehmer („self-assessment“), der direkte Unterricht („Feedback, teaching“), und/oder die gezielte Thematisierung („focused facilitation“) vorgeschlagen. Die Wahl der Strategie obliegt dem Debriefer. Eine vereinfachte Matrix zur Entscheidungshilfe zum Ende dieses Abschnittes stellt die Debriefing- Strategien mit ihren Indikationen nebeneinander. In der Reihenfolge der Vorstellung der Debriefing- Strategien wird deren Anwendung komplexer im Sinne der Akzeptanz der Teilnehmer und fordert zunehmende Erfahrung im Debriefing.
Ziel ist es, die Erfahrung aus der Simulation über Reflexion der Teilnehmer in gefestigte Lerninhalte zu übertragen.
Die drei Debriefing- Strategien werden hier kurz vorgestellt:
– Selbsteinschätzung (plus/DELTA und Warum?)
Die Selbsteinschätzung der Teilnehmer bringt eine Liste von erwünschten und unerwünschten Aktionen und alternativen Vorgehensweisen hervor („Wir haben während der Reanimation zu viel Zeit mit der Intubation verbracht und die Herz- Druck- Massage“ -> „Warum?“). Viele Punkte lassen sich in kurzer Zeit abarbeiten und es hilft Performance- Lücken zu identifizieren. Dies ist besonders vorteilhaft bei Wissenslücken, ist aber auch anwendbar für verbesserbare Verhaltensweisen. Diese Debriefing- Strategie ist für den Debriefer auch relativ einfach zu beherrschen. Nachteilig kann es sein, wenn die Teilnehmer sich hauptsächlich auf Performance- Lücken konzentrieren und positive Ereignisse unterrepräsentiert werden. Außerdem kann es schwierig werden, die Rationale des Handels zu erfassen. Inkorrekte Annahmen der Hintergründe der Handlungsweisen können verhindern, dass ein adäquater Lernerfolg erzielt wird.
Phrasen: „Was ist gut gelaufen und warum?“
„Welche Aspekte der Behandlung würden Sie das nächste Mal anders machen und warum?“
– Unterricht (direktes Feedback)
Durch Unterricht kann man schnell und einfach Wissen- Lücken schliessen und technische Fehler ansprechen und die korrekte Anwendung lehren (z.B. optimale Durchführung von Herz-Druck-Massage). Dies kann der Novize im Debriefing ebenso wie ein Experte ohne großen Zeitbedarf durchführen. Ein Problem ist es, wenn zu früh Lösungen für Probleme angeboten werden, so daß diese von den Teilnehmern als Konfrontation aufgenommen werden kann. Des Weiteren kann es den Debriefer veranlassen, selbst zu viel zu reden. Hier ist ein besonderes Fingerspitzengefühl gefordert und kann beim Anfänger im Debriefing zu Schwierigkeiten in der Kommunikation mit den Teilnehmern führen. Auch wird die Reflexion nicht gefördert, was den Lernerfolg einschränken kann.
Phrasen: „Ich habe bemerkt, daß Sie folgendes gemacht haben…(Handlung)“
„Das nächste Mal könnten Sie vielleicht… (Vorschlag), weil… (Rationale)“
– Gezielte Thematisierung ( „focused fascilitation“, z.B. Advocacy & Inquiry)
Die gezielte Thematisierung von Performance (positiv oder negativ) unterstützt eine kritische Reflexion, wodurch das Verständnis der Schlüsselereignisse vertieft wird. Dies ist besonders vorteilhaft einsetzbar bei interprofessionellen und multidisziplinären Teams. Durch gezieltes Nachfragen zu den Gründen des Handels können unerkannte Verständnislücken aufgedeckt werden. Auf jeden Fall sollte die Diskussion immer in einem psychologisch sicheren Umfeld erfolgen, da sich nur darin ein Teilnehmer öffnen kann. Man kann sehr lehrreiche Diskussionen entstehen lassen, die viel Einsicht bei den Teilnehmern erzeugen. Die gezielte Thematisierung ist häufig zeitintensiv und schwierig zu managen. Besonders schwierig wird es, wenn die Teilnehmer keine Einsicht in ihr Denkschema gewähren oder ablehnend dem gegenüberstehen.
Eine Technik ist das Advocacy and Inquiry. Begonnen wird hier mit der Beschreibung einer Situation und der eigenen Bewertung der Handlung, um anschließend die Perspektive des Teilnehmers zu erfahren (z.B. „Ich habe gesehen, dass Sie die erfahrene Schwester bei der Reanimation nicht mit einbezogen haben. Das hat mich überrascht, warum haben Sie das gemacht?“). Anschließend sollte die Aussage des Teilnehmers zur Klarstellung mit eigenen Worten wiederholt werden („Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollten Sie ihre Führungsrolle schützen“). Diese Rationale sollte im Teilnehmerkreis diskutiert oder ein optimales Handlungsmodel vorgestellt werden („Besonders erfahrenen Pflegekräfte können Hinweise bei Reanimationen geben, die der Teamleiter übersehen hat“) und dann kann man einen Ausblick auf das nächste Mal schaffen („Versuchen Sie alle verfügbaren Ressourcen zu nutzen“).
Phrasen: „Ich würde gerne ein paar Minuten verwenden, um über folgendes Ereignis zu sprechen…(Beobachtung)
„Mich hat es verwundert, weil…(eigene Beurteilung der Situation)
„Was ist Ihnen dabei durch den Kopf gegangen? (Perspektive/Mindset des Teilnehmers)
“ Wenn ich das richtig verstanden haben, dann war… (Performance- Lücke) wegen…(Wiedergabe der Perspektive/Mindset).
Diskussion oder Feedback zur Performance- Lücke, um sie zu schließen.
„Wie würden Sie eine ähnliche Situation beim nächsten Mal behandeln?“ (Generalisierung)
PEARLS educational Strategie_revised_02.jpgEs kann zwischen den Strategien situativ gewechselt werden. Oftmals wird zum Beispiel mit der Selbsteinschätzung begonnen, was wieder die Möglichkeit eröffnet, die Teilnehmer das Thema wählen zu lassen. Dies kann übergehen in eine gezielte Thematisierung von Lehrinhalten, die dem Debriefer wichtig sind, oder die für die Simulations- Einheit vorgesehen sind, um eine tiefgreifende Diskussion mit Reflexion zu ermöglichen. Abschließend können noch Wissen- Lücken mit direktem Feedback geschlossen werden. Da meistens mehrere Lehr- Inhalte für eine Simulationseinheit vorgesehen sind, kann auch anhand der vorhandenen Zeit, der Komplexizität des Themas und der Erfahrung der Teilnehmer und des Debriefers eine Lehr- Strategie gewählt werden. Hilfreich ist es, sich Notizen zu machen zu den Themen, die während der Simulation und während der ersten Phasen des Debriefings aufgefallen sind.
Zum Ende der Analyse- Phase sollte die Frage: „Gibt es noch offene Fragen, bevor wir das Debriefing in diesem Fall beenden?“ gestellt werden. Ist dies der Fall, kann das Debriefing mit der Zusammenfassung beendet werden.
4.) Zusammenfassung und/oder Take-home
Die Formulierung der Take- home- Messages durch die Teilnehmer kann zeitintensiv sein, so daß dies im Vorfeld eingeplant werden sollte. Der Vorteil liegt aber in der Reflexion (-> verbessertes Lernen), nachteilig ist möglicherweise, wenn die Lehr- Inhalte, die vorgesehen waren, nicht berücksichtigt werden.
Phrase Teilnehmer- gesteuert: „Ich möchte das Debriefing damit beenden, daß jeder von Ihnen eine oder zwei Take- home- Messages formuliert, die Ihnen in Zukunft helfen werden.“
Wenn die Zusammenfassung durch den Debriefer erfolgt, bleibt die Kontrolle über die Zeit und die Inhalte beim Debriefer, dafür entsprechen die Inhalte aber ggf. nicht den Bedürfnissen der Teilnehmer.
Phrase Debriefer- gesteuert: „Zusammengefasst kann man sagen, daß die zentralen Erkenntnisse dieses Falles sind….“
Die Teilnehmer einer Simulations- Einheit sollten die Möglichkeit bekommen, über ihre Simulations- Erfahrung zu reflektieren und einen Sinn daraus zu schließen. Dies ermöglicht oft einen guten Lernerfolg mit späterer Umsetzung in die klinische Praxis.
Für die Simulations- Praxis habe ich den Ablauf des Debriefings nach PEARLS und die gescripteten Phrasen in zwei Handouts zusammengefasst, um eine einfache Übersicht zu erhalten.
handout_PEARLS_scripted_Debriefing_xaqu1n
handout_PEARLS_framed_Debriefing_xaqu1n
Die Handouts können z.B. als Doppelseite laminiert werden. Die Phrasen können sogar wortgetreu während des Debriefings vorgelesen werden und unterstützen den Ablauf der Simulation ungemein.
Insgesamt ist dieses Konzept des gescripteten Debriefings nach PEARLS mit der Integration mehrerer Lehr- Strategien ausgesprochen gut gelungen und praxisnah. Ich bin mir sicher, daß besonders Anfänger davon profitieren, aber auch Institutionen mit diesem Rahmen die Qualität ihrer Simulationseinheiten vereinheitlichen und verbessern können.
Bin gespannt auf Euer Feedback…
 
Eppich W, Cheng A. Promoting Excellence And Reflective Learning in Simulation (PEARLS): Development and rationale for a blended approach to healthcare simulation debriefing. Simul Healthc 2015;10(2):106 -115.
 
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1 Kommentar

  1. Großartiger Beitrag! Das Debriefing ist finde ich der schwerste Teil einer Simulation. Eine Struktur zu haben hilft ungemein.

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