Monat: März 2017

#FOAM deutschNotaufnahme

EKG „Breit und schnell“

In unserer neuen Reihe EKG-Ecke möchten wir praxisnah einige Fallbeispiele diskutieren. Danke an Dr. Klaus Fessele (OA Notaufnahme Klinikum Nürnberg Süd) für die tollen EKGs und Fälle!

Diesmal kommt die erfahrene Notaufnahme-Schwester mit einem sehr auffälligen EKGzu Ihnen: „Der ist schnell und breit - schau dir den bitte schnell mal an!“

Es zeigt sich ein in etwa 40-jähriger Patient mit Herzrasen seit ca. einer Woche, dabei reduzierte Belastbarkeit. Bei ihm sei ein WPW-Syndrom bekannt - und hämodynamisch ist der Patient erstaunlich stabil: RR 120 mm Hg systolisch bei palpablem Radialispuls, kein Lakat in der vBGA.

Was machen Sie?

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Im EKG sehen Sie eine Breitkammerkomplextachykardie mit positiver Konkordanz über den Brustwandableitungen

Die Differentialdiagnosen: VT (Ventrikuläre Tachykardie) oder WPW mit Vorhofflattern und 2:1 ÜL

Was tun?

-> Beim Hauch der Instabilität natürlich: Elektrische Kardioversion.

Gibt es eine sichere medikamentöse Therapie?

Adenosin*, Verapamil und Betablocker sind beim WPW mit Vorhofflimmern kontraindiziert, selbst unter Amiodaron gibt es Fälle, bei denen in dieser Konstellation Kammerflimmern ausgelöst wurde.

Nun, hier haben wir Flattern mit 2:1 Überleitung oder eine VT. O.g. Medis sind beim Flattern nicht ausreichend effektiv und wie gesagt von fraglicher Sicherheit, da auch Flattern und Flimmern manchmal koexisieren.

-> Es erfolgt daher eine Ajmalin Gabe von 50mg (langsam!!!), danach zeigt sich das folgende EKG:

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Hurra, das Flattern ist bewiesen, also keine VT.

Umgesprungen in den Sinusrhythmus ist der Patient leider nicht. Angesichts der lange bestehenden Klinik wurde primär noch ein TEE (transösophageales Echo) durchgeführt, dann elektrische Kardioversion und im Verlauf elektive Ablation der akzessorischen Leitungsbahn (prognostische Indikation bei hoher Überleitungskapazität).

 

Hättet ihr auch so gehandelt? Andere Medikamente oder gleich Strom gewählt?

 

* Adenosin Zusatz-Info: Die fixe Aussage, dass Adenosin generell bei WPW kontraindiziert ist, wird zunehmend hinterfragt - fix gilt nur die Kontraindikation bei Vorhofflimmern oder -flattern mit WPW. Hier besteht die Gefahr von lebensbedrohlichem Kammerflimmern/-flattern. Ein längerer Artikel zu dieser Thematik ist in Arbeit!

 

 

 

#FOAM deutsch

Tourniquets: Blutung stoppen, Leben retten

Tourniquets sind nichts Neues. Manche behaupten, dass sie schon im 4 Jh. V. Chr. unter Alexander dem Großen eingesetzt wurden[i]. Durch Abbinden können schwere Blutungen an Extremitäten auf simple Weise gestoppt werden. Nachdem das Abbinden lange in den OP Saal und militärische Einheiten verbannt war, erfährt es jetzt auch zunehmend Anwendung in der zivilen Notfallmedizin. Bei korrekter Anwendung können die Risiken minimiert werden, womit die Vorteile klar überwiegen.

Vor einigen Wochen haben die Deutschen Gesellschaften für Unfallchirurgie (DGU) sowie Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) eine interessante Pressemeldung herausgegeben, in der sie sich für eine flächendeckende Ausstattung der Rettungsdienste mit Tourniquets einsetzen. Dies ist besonders bei Terror- und MANV-Lagen wichtig, sie können aber auch im „Normalbetrieb“ Anwendung finden. Manche Rettungsdienste in Deutschland sind bereits mit Tourniquets ausgestattet, so werden in Bayern inzwischen auf allen RTW „REBEL-Sets“ vorgehalten, die auch vier Tourniquets beinhalten[ii]. In Berlin und anderen Städten gehören Tourniquets inzwischen zur Standardausstattung, wobei die Modelle und Anzahl stark variiert und es kein bundesweit einheitliches Konzept gibt.

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Combat Application Tourniquet (CAT)

Die Anwendung ist simpel, somit könnte eine Einweisung schon auf der Grundlage normaler Erster Hilfe stattfinden. Indikation ist grundsätzlich eine starke Blutung an Extremitäten, die sich nicht mit Druckverband stillen lässt. Wenn der Patient simultan reanimationspflichtig ist oder die Versorgung im Rahmen eines MANV passiert, können Tourniquets aber auch zur ersten Wahl werden. Beim Anlegen ist entscheidend, dass ein ausreichender Druck erzielt wird, um das Stauen der Extremität zu vermeiden und die damit verbundene Steigerung des Blutverlustes zu verhindern. Im Regelbetrieb ist das Tourniquet mindestens 5 cm oberhalb der Verletzung anzulegen. Falls zB. im MANV-Fall oder bei schwierigen Umweltbedingungen eine weitere Überwachung und Anpassung nicht möglich sind, gilt es nach dem Prinzip „go high or die“ das Tourniquet so proximal wie möglich anzulegen. Wenn die Blutung nach anlegen des Tourniquets nicht aufhört, ist der Druck zu überprüfen und ggf. ein zweites Tourniquet oberhalb des ersten zu befestigen.

Es gibt verschiedene Typen von Tourniquets mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Im prähospitalen Bereich sind sogenannte Combat Application Tourniquets (CAT) und Special Operations Forces Tactical Tourniquets (SOF-TT) weit verbreitet. Nicht alle Tourniquetmodelle sind gleichermaßen simpel und sicher in der Anwendung. Eine hilfreiche Übersicht der verschiedenen empfohlenen Modelle kann in der DGAI Handlungsempfehlung gefunden werden.

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Anleitung aus der App von citizenAID

Improvisierte Tourniquets können z.B. mit Kleidungsstücken, Gürteln oder Dreieckstüchern hergestellt werden. Hierbei ist aber zu bedenken, dass diese Improvisorien fehleranfälliger sind. Damit können sie teilweise ihren Zweck verfehlen, und eher zu einer Stauung als zum definitiven Unterbrechen der Blutzufuhr führen. [iii] Es ist deshalb sinnvoll, sich besonders mit diesen Techniken aufmerksam auseinanderzusetzen um auch im privaten Bereich oder bei Engpässen reagieren zu können[iv].

Perspektivisch ist die Ausweitung auf Ersthelfer denkbar. In Großbritannien[v], Frankreich[vi] oder den USA[vii] werden bereits Laien zum Improvisieren von Tourniquets angeleitet. Als Beispiel kann hier die „stop the bleeding“ Aktion für Erarbeitung eigener Konzepte herangezogen werden. Allgemein ist auch aufgrund der Terroranschläge der letzten Jahre weltweit ein klarer Trend zur Anwendung von Tourniquets erkennbar. Um mehr über Tourniquets und ihre Anwendung zu lernen ist die Handlungsempfehlung der DGAI sehr zu empfehlen. Dabei ist es wichtig sich mit den lokal vorgehaltenen Produkten vertraut zu machen. Tourniquets kommen immer dann zum Einsatz wenn für überlegen und probieren keine Zeit bleibt.

 

 

 

[i] https://en.wikipedia.org/wiki/Tourniquet

[ii] http://bos-fahrzeuge.info/forum/index.php?thread/7296-rebel-sets-bayern/

[iii] https://www.researchgate.net/publication/275333915_Tourniquet_use_at_the_Boston_Marathon_bombing

[iv] http://www.conovers.org/ftp/Improvised-Tourniquets.pdf

[v] http://citizenaid.org/

[vi] http://www.croix-rouge.fr/Espace-presse/Communiques/En-fevrier-initiation-gratuite-de-tous-les-citoyens-aux-gestes-qui-sauvent

[vii] http://www.redcross.org/news/press-release/Red-Cross-and-Heart-Association-Announce-Updated-Guidelines

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2660095/

Beitragsbild [CC BY 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0)], via Wikimedia Commons

CAT Image by INDNAM (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

#FOAM deutsch

EKG „Kollaps im Supermarkt“

Und hier ein weiterer EKG-Fall:

Ein 60jähriger Pat. wird mit dem RTW in die Notaufnahme gebracht, nachdem er im Supermarkt plötzlich einen Schwächeanfall erlitten hatte und zusammengebrochen war. Vegetativsymptomatik (Kaltschweißigkeit) wurde bejaht, zu einer Bewusstlosigkeit sei es nicht gekommen. Dyspnoe und thorakale Schmerzen im Sinne einer AP wurden ebenso verneint. Ähnliche synodale Ereignisse seien bisher noch nie aufgetreten. Der Pat. berichtete zudem, dass er seit 4 Wochen appetitlos sei und kaum noch essen und trinken würde. Durchfälle seien in den letzten Tagen auch aufgetreten. Im Dezember sei er in einer AHB gewesen bei Z.n. LAE im Dezember 2016. Im Rahmen des letzten Krankenhausaufenthalts war Verschlechterung der bekannten Herzinsuffizienz bei bestehender KHK festgestellt wurden.

Dies war sein Aufnahme EKG… War was passiert?

Bereits in der Aufnahme BGA zeigte sich eine ausgeprägte Hypokaliämie mit einem Serumkalium von 2,6 mmol/l. In der Serologie bestätigte sich dies. Der Patient wurde auf die Überwachungsstation übernommen.

Im EKG zeigten sich die Äquivalente im Sinne einer prominenten TU Verschmelzungswelle mit QU- Zeit Verlängerung. Diese finden sich vor allem über der Vorderwand ( V2-V4).Die T-und die U-Welle haben prinzipiell die gleiche Polarität. Eine Diskordanz wäre als pathologisch zu werten. Wichtig ist noch, dass die U Welle nicht zur QT Zeit mitgerechnet wird.

Die Retentions- und Schilddrüsenparameter des Patienten waren normwertig. Letztendlich erfolgte im weiteren stationären Verlauf bei eingeschränkten Blutgasen ein CT Thorax zum Ausschluss einer Rezidiv LAE bei weiterhin ungeklärter Ätiologie. Hier zeigte sich in gleicher Lokalisation wie im Dezember der bekannte Restthrombose, ebenso war kein Anstieg der D-Dimere zu verzeichnen. Eine kardiale Ischämie ließ sich laborchemisch ausschließen. Das Kalium wurde substituiert. Maligne Herzhrythmusstörungen traten nicht auf.

Das Folge EKG bei einem Kalium von 4,7 mmol zeigte eine rückläufige QU Zeit.

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#FOAM deutsch#FOAM internationalblogs

Neues aus St. Emlyn`s: “ Die Zukunft der notfallmedizinischen Ausbildung im sozialen Zeitalter “ von Prof. Simon Carley

(Übersetzung)

Autor: Professor Simon Carley, Veröffentlicht: 07. Februar 2017

Es ist ein besonderes Jahr für die Notfallmedizin in Großbritannien.

2017 ist der 50. Jahrestag unserer Fachrichtung. Das RCEM (Royal College of Emergency Medicine) plant eine Reihe von Veranstaltungen um dies zu feiern. Es ist auch der 30. Jahrestag der Sektion Notfallmedizin der Royal Society of Medicine in London (1). Diese begann das Jahr mit einer Rückschau auf die Ereignisse der letzten Jahre.

Peter Williams, der Vorsitzende der Sektion, zeigte in seinem großartigen Programm mit Sprechern aus Großbritannien, Nordamerika und Südafrika die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Notfallmedizin auf.

Mein Beitrag (der Autor ist Professor Simon Carley) war es, über die sozialen Aspekte der Weiterbildung in der Notfallmedizin zu sprechen und zu zeigen, wie Technologie und soziale Interaktion das traditionelle Bildungsmodel durchbrochen haben.

In dieser Rede gibt es drei Schlüsselbotschaften, die mit bisherigen blogs und Präsentationen verknüpft sind.

Ich (der Autor) habe hier die Aufzeichnungen des Tages zusammengetragen und versuche die Botschaft so gut ich kann mit anderen zu teilen.

  1. Technologie, Gedächtnis und Verarbeitung
  2. Das soziale Zeitalter
  3. Einfluss und Teilhabe

Technologie, Gedächtnis und Verarbeitung

Die Technologie ist im Jahr 2017 weit verbreitet. Daten der Pew Forschungsgruppe (2) zeigen, das die Interaktion mit den sozialen Medien von Jahr zu Jahr steigt und des nicht nur bei den Jüngsten. Soziale Medien und Technologie sind überall. Auch wenn man denkt, das man selber kein Nutzer ist, so werden doch Kollegen dies nutzen und mit dem was sie dort lernen „kontaminiert“ sein. In anderen Worten: Man kann sich dem Einfluss der sozialen Medien nicht entziehen und dies auch dann nicht, wenn man diese selber nicht nutzt.

Die jüngsten Modelle zur medizinischen Ausbildung scheinen auf Lernstilen aus der Zeit vor dem Internet zu beruhen und diese laufen zunehmend hinter der technologischen Entwicklung hinterher. Wenn ich an meine frühere Karriere zurückdenke, dann war es ganz anders. Wir hatten keine Smartphones, das Internet existierte gerade mal, die Computer waren langsam und schwierig zu benutzen und sie waren im medizinischen Umfeld auch gar nicht so leicht erreichbar. Die Medizin am Krankenbett basierte auf der ärztlichen Fähigkeit sich an Dinge zu erinnern und diese Fakten aus dem eigenen Gedächtnis hervorzuholen. Die Jahre vor dem Studienabschluss und die ersten Jahre danach stellten den Erwerb und die Wiedergabe der Fakten in den Vordergrund. Wir lernten Anatomie sodass wir sie rezitieren, malen und beschreiben konnten. Stunde um Stunde wurde damit zugebracht, Fakten zu lernen um den Tutor zu beeindrucken und um uns am Krankenbett gut aussehen zu lassen.

Diese Tage sind vorbei.

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Wir alle haben Zugang zum Internet und fast jeder kann das Internet über ein portables Gerät erreichen. Das Gerät hat die Fähigkeit innerhalb von Minuten all das Wissen, das ich gelernt und vergessen oder niemals gewusst habe, hervorzubringen. Dies ist ein grundlegender Wandel im Zugang zu Informationen. Meine frühe Karriere war von der Notwendigkeit Dinge zu wissen gekennzeichnet. Heute ist es wohl wichtiger zu wissen, dass es diese Fakten gibt und wie man diese finden kann. Wir sind weniger der Merkzettel für Fakten als vielmehr das System, das Fakten identifiziert, sucht und verarbeitet.

Die Welt hat sich verändert. Aber die Bildungssysteme und insbesondere die Art, wie geprüft wird, hat sich nicht geändert. Lassen Sie uns darüber nachdenken. Denken Sie an die Prüfungsaufgaben, die Sie vorbereiten. Typischerweise wird die Wiedergabe von Fakten verlangt. Aber ist es wirklich so, dass wir Fakten fast sofort parat haben müssen? Müssen wir wirklich von den Studenten erwarten, dass sie den Plexus brachialis aus dem Gedächtnis her zeichnen müssen, wenn wir doch in Sekunden auf diese Informationen zugreifen können?

Bitten Sie mal die Erfahrenen den Plexus brachialis zu zeichnen. Die meisten werden dies wohl nicht können aber sie werden auf dem Smartphone nachsehen. Die Realität ist doch so, dass wir Informationen nicht so speichern, wie wir dies für die Prüfungen taten. Diese dienten jedoch dazu nachzuweisen, ob wir für den Beruf fit sind und sollten dies auch widerspiegeln. Einfach ausgedrückt – warum prüfen wir in einer Art und Weise, die wir nicht praktizieren? Die Antworten sind komplex. Aber es ist leicht und wir haben es schon immer so getan.

Wenn Sie beim Lesen in der Öffentlichkeit sind, dann sehen Sie sich doch mal um und beobachten, wie die Leute mit den sozialen Medien und Smartphones umgehen. Es sieht vermutlich so aus wie auf dem Bild hier unten, weil wir überall in der Welt nur teilweise aufmerksam sind.

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Darf ich fragen, ob Sie während Sie beim Lesen abgelenkt wurden? Haben Sie Ihre e-mails gelesen oder einen tweet oder etwas auf facebook? Es sind nur wenige Minuten vergangen, seit Sie die ersten Zeilen gelesen haben und doch waren viele von uns bereits abgelenkt.

Wir wissen, das Vorlesungen Probleme mit der Wissensvermittlung haben und Dinge wie TED sind sehr populär und einladend. Die Benutzung von erzählenden, kurzen und visuell ansprechend gestalteten Medien ist genau das, was Lernende heute einlädt. Diese Lektion müssen wir lernen.

Das soziale Zeitalter (3)

Julian Stodd hat als Akademiker untersucht, wie Organisationen mit sozialen Medien arbeiten. Er macht den wirklich wichtigen Punkt, dass wir vom Zeitalter der Manufaktur zum Zeitalter des Wissens und nun zum digitalen Zeitalter gekommen sind. Aber das digitale Zeitalter besteht und wir haben uns bereits darüber hinaus bewegt. Gegenwart und unmittelbare Zukunft sind davon geprägt, wie wir digitale Technologien sozial nutzen. Wenn Sie an Bildungstechnologie, Lernen und/oder sozialen Medien interessiert sind, dann empfehle ich Ihnen dringend den Blog von Julian und seine Bücher zu lesen.

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Unser traditionelles Bildungsmodel bedeutet, das Wissen von Akademikern geschaffen wird. Es wird durch Zeitschriften, Bildungspläne und die Ansichten der Lehrenden gesammelt, zugänglich gemacht und verbreitet. Im Zeitalter der sozialen Medien wird die Filterfunktion der Lehrer und etablierter Organisationen wie Schulen und akademische Institutionen durchbrochen und unterlaufen. In der Ära der sozialen Medien können wir weltweit kommunizieren und die Kontrolle über die Informationen ist verloren. Unseren Lernenden ist nicht nur eine wesentliche breitere Quelle des Wissens zugänglich, sondern sie sind nun in der Lage ihre eigenen Wertvorstellungen und Werte zu definieren. Die Kontrolle der Informationen die den Lehrern vorbehalten war, wird nun untergraben.

Eine Analogie würde die Kampagne zur US-Präsidentenwahl sein. Trumps Umgang mit den sozialen Medien bedeutete eine direkte Kommunikation mit der Wählerschaft.

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Hier in St. Emlyn`s verstehen wir das Ärzte ihr eigenes Wissen auf der Grundlage dessen was sie schon wissen erschaffen und wir stärken dies und binden das Wissen in die Diskussionen und Debatten mit ein. Dieses sozio-konstruktive Lernmodel (4) widerspiegelt das, was im Zeitalter der sozialen Medien geschieht. Kliniker kamen schon immer in den Kliniken, bei Treffen und Journalclubs zusammen, um sich gemeinsam über neues Wissen auszutauschen. Die Verbindung von sozialer Interaktion und Lernen ist nicht neu. Was neu ist, ist das diese Interaktion nicht länger an den physischen Raum oder die Zeit gebunden ist. Auf diesem Planeten können wir nicht asynchron persönliche Lernnetzwerke entwickeln, die nicht durch uns selber definiert oder kontrolliert werden. Das Bild unten zeigt ein PLN (personalised learning network ) von Anand Swaminatham. Es zeigt Ärzte, die für seine Reise durch das Lernen wichtig sind. Wenn Sie Gesichter wiedererkennen, dann sieht es aus wie Mavens von überall auf der Welt ((Anmerkung durch Übersetzer: Maven ist ein jüdisches Wort und bedeutetet Anhäufer von Wissen)). Dies ist ein wirklich starker Weg des nachhaltigen persönlichen Lernens, das durch die soziale Interaktion im Internet geschaffen und erhalten wird.

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Klar gibt es bei diesem direkten und ungefilterten Informationsfluss Risiken (siehe Trump & Brexit). Wir sehen ähnliche Befürchtungen auch in der medizinischen Bildung. Traditionell Lehrende sind besorgt, dass sie die Kontrolle darüber verlieren, wozu Lernende Zugang haben und was sie dann glauben. Sie sind besorgt, dass sie möglicherweise nicht die Fähigkeit zwischen dem, was gut und ist und dem, was nicht so gut ist zu unterscheiden.

In der Realität haben sie Recht. Wir müssen unsere Auszubildenden und Kollegen befähigen, diese Skills zu entwickeln und nicht so tun als wären diese nicht notwendig. Für jeden, der heutzutage mit Bildung beschäftigt ist, sollte klar sein das Web basiertes Lernen die Fähigkeit zur kritischen Einschätzung benötigt. Für den Lehrer ist die Botschaft klar. Wir müssen in dem Raum arbeiten, leben und lernen, in dem auch unsere Lernenden zu Hause sind - und das ist online.

Einfluss und Teilhabe

Wir haben schon auf die Statistiken hingewiesen die zeigen, wie sich junge Ärzte in den USA (4) und Kanada (5) einbringen und dies ist überzeugendes Datenmaterial. Aber welche Auswirkungen hat das auf die Sorge um den Patienten?

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Wir wissen, dass es problematisch ist, die Ergebnisse klinisch qualitativ guter Studien in die Arbeit am Patienten umzusetzen. Studien haben gezeigt, dass dieser Weg bis zu 14 Jahre dauern kann. Dies führt dazu, das vielen unserer Patienten, nicht die qualitativ hochwertige Medizin zugute kommt.

Es gibt viele mögliche Ursachen, warum dies so ist. Aber es ist sicherlich so, dass die Beschränkung auf Informationen die zunächst nur über Zeitschriften zugänglich sind und sich dann langsam in den Textbüchern und Lehrplänen wiederfinden, der Geschwindigkeit entspricht, mit der sich Gletscher verändern.

Der Einfluss, den das soziale Lernen hat, kann dies verändern und den Weg des Wissens von der Quelle bis zum Krankenbett beeinflussen. Nehmen wir mal etwas, wo ich mir sicher bin, das Sie dies heutzutage tun. Die REVERT Methode für die Behandlung der SVT (7). Nun denken Sie mal darüber nach, wie Sie über diese Studie informiert wurden und beantworten Sie die folgenden Fragen:

1.Wissen Sie, in welchem Journal diese Studie veröffentlicht wurde

2.Beziehen Sie diese Zeitschrift?

3.Haben Sie das Abstrakt gelesen?

4.Haben Sie den gesamten Artikel gelesen bevor Sie diese Technik übernommen haben (das gesamte Papier Wort für Wort)?

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Die Methode wurde übrigens im Lancet veröffentlicht. Ich wette, dass > 90 % der Ärzte, die diese Technik übernommen haben, nicht das gesamte Papier gelesen haben. Als wir einen Blog über dieses Papier veröffentlichten, gab es plötzlich 12000 Aufrufe und Mitteilungen aus der ganzen Welt, innerhalb von Stunden berichteten Ärzte über die Anwendung dieser Methode. Das zeigt die tatsächliche Auswirkung und die phantastisch schnelle Aufnahme von neuem Wissen.

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Wenn Sie dies hier lesen, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass Sie das meiste darüber durch #FOAMed erfahren haben.

Sie werden es online gesehen oder an Diskussionen teilgenommen haben. Und ich vermute mal, Sie haben Nicht-#FOAMed Kollegen mit diesem Wissen kontaminiert.

Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie die neuen Methoden der sozialen Interaktion und Kommunikation das Lernen und die Arbeit beschleunigen können.

So, was bedeutet das alles?

Im Fokus dieses Treffens zum 30. Jahrestag stand der Blick in die Zukunft der Notfallmedizin und ich denke, dass diese Rede wirklich gut hier am Ende dieses Treffens platziert ist. Bildung ist wirklich eine Zeitmaschine. Wir investieren in die Lehre und das Lernen, um die Zukunft der Gesundheitsversorgung zu verändern. Was wir jetzt tun, wird die Versorgung in der Zukunft und auch unsere heutige beeinflussen.

Als Lehrende haben wir das Privileg in die Zukunft zu investieren und ich bin froh ein kleiner Teil dieses heutigen fabelhaften Tages gewesen zu sein.

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S

References

1.Emergency Medicine Section. Royal Society of Medicine. https://www.rsm.ac.uk/sections/sections-and-networks-list/emergency-medicine-section.aspx. Published 2017. Accessed February 7, 2017.

2.Social Media Usage Trends. Pew Research Group. http://www.pewinternet.org/2015/10/08/social-networking-usage-2005-2015/. Published 2016. Accessed February 7, 2017.

3.Julian Stodd Learning Blog. Julian Stodd Learning Blog. https://julianstodd.wordpress.com/. Published 2017. Accessed February 7, 2017.

4.Social and Constructivism. St.Emlyn’s. http://stemlynsblog.org/educational-theories-you-must-know-constructivism-and-socio-constructivism/. Published 2015. Accessed February 7, 2017.

5.Pearson D, Bond M, Kegg J, et al. Evaluation of Social Media Use by Emergency Medicine Residents and Faculty. WestJEM. 2015;16(5):715-720. doi: 10.5811/westjem.2015.7.26128

6.Purdy E, Thoma B, Bednarczyk J, Migneault D, Sherbino J. The use of free online educational resources by Canadian emergency medicine residents and program directors. CJEM. 2015;17(02):101-106. doi: 10.1017/cem.2014.73

7.Appelboam A, Reuben A, Mann C, et al. Postural modification to the standard Valsalva manoeuvre for emergency treatment of supraventricular tachycardias (REVERT): a randomised controlled trial. Lancet. 2015;386(10005):1747-1753. [PubMed]

Quelle:

“The future of Emergency Medicine Education in the Social Age “

http://stemlynsblog.org/the-future-of-emergency-medicine-education-in-the-social-age-st-emlyns/

Die Macher von St. Emlyn`s haben mir die Erlaubnis erteilt, das Material in übersetzter Form für das deutsche FOAM zu benutzen. Jovanka Blunk

Anmerkung des Übersetzers: REVERT Methode :

http://stemlynsblog.org/the-revert-trial/

Video zur Methode von Lancet TV im Text

 

#FOAM internationalIntensivmedizinNotaufnahme

Entwicklungshilfe für die Notfallmedizin

Mein erstes Erlebnis auf dem Begrüßungsabend der developingEM- conference 2016 in Colombo (Sri Lanka) war prägend für den Rest der Konferenz. Kaum war ich angekommen und hatte ein Glas in der Hand, kam ich ins Gespräch mit einem freundlichen älteren singhalesischen Herren, der sich mir als Begründer der Notfallmedizin in Sri Lanka präsentierte. Als ich mich ihm als gefühlter Notfallmediziner aus Deutschland vorstellte, schaute er mich mitleidig an und sagt: „Yo are very far behind in Germany…“ … und Recht hatte er damit. Dr. Dhanapala Rodrigo erklärte mir in seinem Enthusiasmus, wie er vorgegangen war, als er vor Jahrzehnten die Notwendigkeit einer speziellen Notfallversorgung erkannte und in Sri Lanka etablieren wollte. Da er die Widerstände anderen Fachbereiche vorhersah (er ist gelernter Anästhesist), lud er die Kollegen zum Mittagessen ein und… „I served a lot of alcohol…“. Erst dann begann er seine Pläne zu erläutern und vermied den Begriff „Notfallmedizin“, sondern nannte seine neue, geplante Aufnahme- Station „preliminary care“ (vorbereitende Versorgung). Inzwischen hat sich in Sri Lanka ein anerkanntes Weiterbildungsprogramm für den anerkannten Fachbereich Notfallmedizin etabliert. Ein Trainingszentrum in Galle wurde ins Leben gerufen. Des Weiteren komplettieren Strukturveränderungen in Krankenhäusern mit Emergency Departments mit Triage- Systemen und weiterführender Versorgung die Notfallversorgung.

Da dachte ich:

Eine Konferenz dieser Art würde uns in Deutschland auch gut stehen. http://developingem.com/ will aufmerksam machen auf die Bedürfnisse sich entwickelnder Länder in Sachen Notfallmedizin. Die Organisation finanziert sich ausschließlich über die Teilnehmergebühren, ist ohne eigene ökonomische Interessen und ohne industrielle Unterstützung und versucht einen offenen, neuen Weg zu finden, Weiterbildung attraktiv zu gestalten. Für die Besucher der Konferenz aus den Veranstaltungsländern ist die Teilnahme kostenfrei und es werden sogar Reisekostenunterstützungen gewährt. Die Referenten kommen meist aus den Bereichen Notfallmedizin und Intensivmedizin und sind teils hochkarätige Honoratioren aus westlichen Industrieländern und Entwicklungsländern. Damit kommt es zu einer sehr breiten Repräsentation von internationaler, praktischer Notfallmedizin. Die DevelopingEM- Konferenz findet seit 2012 jährlich auf einem anderen Kontinent statt und war bislang in Sydney (Australien), 2x Havana (Cuba), Salvador de Bahia (Brasilien) und im Jahr 2016 in Colombo (Sri Lanka).

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Deutschland ist zwar kein Entwicklungsland im ökonomischen Sinne, was die Etablierung der Notfallmedizin als eigenständiger Fachbereich angeht, aber schon. Dieses Thema war auch Auftakt-Thema des ersten Tages. Gleich zu Beginn der Vorträge wurde mit sinnvollen Ratschlägen von seitens australischer Referenten nicht gespart. Dr. Sue Leraci warnte z.B. vor vielen Dingen, die zu einer Fehlentwicklung in Australien geführt hätten. Der am Meisten gesehene Patient sei der sogenannte „unwell-well“, den wir in Deutschland auch zu Genüge kennen. Nichts wirklich Wichtiges, aber mit der Erwartung in der Notaufnahme werden mal eben schnell alle Gesundheitsprobleme gelöst, an denen sich der Hausarzt schon lange bemüht, sofern man überhaupt Einen hat. Herausgehoben wurde dabei das Rollenverständnis des Notfallmediziners. Die Ausbildung und der Sinn der Notfallmedizin ziele ab auf die unmittelbare Lebenserhaltung der Patienten, die Behandlung zeitkritisch kranker Patienten und die Versorgung von akut komplex-kranken Patienten, die eine stationäre Aufnahme benötigten. Deshalb wäre schlußendlich auch nur ein dreistufiges Triage- System notwendig. (I) akute Lebensrettung (CPR, Atemwegsmanagement etc.) (II) zeitkritische Erkrankungen (ACS, stroke) und (III) komplexe, akute Erkrankungen, die aber nicht unmittelbar zeitkritisch sind. Alle anderen Patienten könnten auch am nächsten Morgen noch zum ambulanten Arzt gehen (Auf Grund der Vergütungskontroversen zwischen KV und Krankenhäusern könnte sich unser System möglicherweise auch dorthin entwickeln). Des Weiteren machte Sue auf den Umstand aufmerksam, daß die Konzentration aller Notfälle in den Händen der Notfallmediziner in Australien dazu geführt hätte, daß andere Fachabteilungen überhaupt nicht mehr in der Lage seien, Notfälle zu behandeln. Alle akuten Probleme müssten also in der Notaufnahme gelöst werden. Von dieser Entfremdung von Notfallbehandlungen sind wir in Deutschland noch weit entfernt, da sich die meisten Fachgebiete ja als Experten für ihre Notfälle begreifen. Man hat bei uns also noch eher die Schwierigkeit als „Notfallmediziner“ überhaupt Ernst genommen zu werden, solange es nicht um Herzdruckmassage geht. Im Gegensatz dazu wird man gelegentlich aber auch mit der Frage konfrontiert, warum der Fachkollege gerade jetzt herangezogen werden würde.

Ein weiterer Australier, Nick Taylor, war als Medical Programm Director for Education aus Melburne für ein halbes Jahr in Galle (Sri Lanka) im Kayapitya Emergency Department, um Notfallmediziner für Sri Lanka auszubilden. Sein enthusiastischer Bericht lässt sich in seinem post nachlesen (https://srilankaemergency.wordpress.com/2016/09/28/emergency-medicine-australia-sri-lanka-nicholas-taylor/). Soviel sei gesagt, daß er jedem Notfallmediziner die Arbeit dort empfehlen möchte, der schwere Krankheitsverläufe im Endstadium behandeln will, die es im den westlichen Ländern nicht mehr gibt (nichts mit „unwell-well“).

Aus der Sicht Sri Lankas berichtete Chula Goonasekera über die Anlauf- Schwierigkeiten eine Fachgesellschaft mit Ausbildungsprogramm aus der Taufe zu heben. Was dafür notwendig zu sein scheint lässt sich seinem schönen Dia entnehmen.

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Auch in Sri Lanka mussten Widerstände überwunden werden, insbesondere von anderen Fachgesellschaften. Es gab keine Unterstützung, außer von aussen und es bedurfte und bedarf weiterhin einen große Motivation und Energieleistung um die Vorstellung von Notfallmedizin umzusetzen. Auch das ist uns in Deutschland nicht unbekannt.

Der weiter Verlauf der Konferenz war geprägt von hochaktuellen Vorträgen zu „praxis-changing“- Artikeln oder Interventionen und von Beiträgen von Notfallmedizinern aus Süd-Ost Asien. Kollegen aus Cambodia, Pakistan, Nepal und Indien berichteten über ihre Fortschritte in der Bildung eigener notfallmedizinischer Abteilungen oder auch Fachgesellschaften und Weiterbildungsprogrammen. Sehr emotional war die, den Saal zu Tränen rührende, Berichterstattung durch Kathleen Thomas zu dem Bombenangriff der US- Amerikaner auf das Krankenhaus der Ärzte ohne Grenzen (MSF Hospital) in Kundus (Afghanistan), das sie selbst überlebt hatte. Unmittelbar aus der Diskussion zu diesem Thema resultierte eine Petition zu #StopBombingHospitals, die von den Konferenzteilnehmern unterzeichnet wurde. Angriffe durch Kriegsparteien auf Gesundheitseinrichtungen werden immer häufiger registriert und scheinen eine Kriegsstrategie z.B. auch durch Assad in Syrien zu sein.

Ein weiterer, mir persönlich ausserdem noch in Erinnerung gebliebene Vortrag, drehte sich um ein eher westliches Problem. In den USA hat sich die Implementierung des Schmerzes als „5.Vitalzeichen“ und die Adressierung dessen mit Opioiden als inzwischen sehr konfliktträchtig und problematisch erwiesen. Möglicherweise stark Industrie- gesteuert hat sich durch leichtfertige Verschreibung und Werbung bei nicht-malignen Schmerzzuständen eine breite Masse an opioid- abhängigen Patienten entwickelt. Diese treten nicht wie die typischen Junkies auf, suchen aber regelmässig verschieden Notaufnahme auf, um ihren Medikamente zu bekommen.

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Der Musiker Prince könnte zum Beispiel ein Todesopfer dieser Verschreibungspraxis gewesen sein. US-amerikanische Kollegen berichteten, dass diese Patienten große Probleme bereiteten, da sie explizit Opioide haben wollten. Sollten diese nicht verschrieben werden, würde das eine negative Bewertung für den jeweiligen Arzt zur Folge haben. Wenn man weiss, daß in einigen Krankenhaus- Konzernen in den USA der Jahres- Bonus zu 50% über die Patienten- Bewertung über den Arzt bestimmt wird, dann kann man sich das Dilemma vorstellen. Das sind auch Auswüchse eines Gesundheitssystems in eine Richtung, die wir hier nicht erleben wollen.

Ein absolutes Highlight war ein organisierter Besuch der Notaufnahmen des Kinderkrankenhauses von Colombo ( ca. 2000 Betten) und eines Traumazentrums. Das Equipment und die technische Ausstattung ist natürlich nicht so umfangreich, wie man es aus westlichen Krankenhäusern gewohnt ist. Nichtsdestotrotz ist vieles ähnlich. Die Warteräume sind voll, die Patienten werden triagiert und Vitalparameter werden erhoben und es gibt eine Menge pflegerisches und ärztliches Personal, das sich um die Patienten kümmert. Ich habe mir ausser der Rettungsstellen noch das CT, das MRT und die Trauma-Intensivstation angeschaut und war beeindruckt von der Professionalität in den Einrichtungen.

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Was diese Konferenz- Reihe von „developingEM“ wirklich ausmacht, ist die Internationalität und relativen Überschaubarkeit der Teilnehmeranzahl. Man kommt hier mit einem Vortragenden aus Afghanistan, dort mit einem SIM- Trainer aus Singapore oder an anderer Stelle mit einem Teilnehmer aus Groß-Britannien ins Gespräch und kann ein Netzwerk aufbauen und Erfahrungen austauschen. Das hilft mir sehr unsere Arbeit in Deutschland zu bewerten und einzuordnen. Unterm Strich glaube ich, machen wir hier eine gute Arbeit in der Notfallmedizin, auch wenn wir uns nicht „Notfallmediziner“ nennen können. Es ist ungemein wichtig, von denen zu lernen, die schon seit über 30 Jahren als „Emergency physicians“ Erfahrungen gesammelt haben. Im Prinzip kochen die zwar auch nur mit Wasser. Da aber in den Ländern mit dem Fachbereich „Notfallmedizin“ eine strukturierte Ausbildung besteht, sind sie echte Experten und nicht Quereinsteiger, wie alle „Notfallmediziner“ in Deutschland. Damit ist die Versorgungsqualität von Notfallpatienten spezifisch organisiert und gesichert und möglicherweise besser.

Abgesehen von den ausgezeichneten Präsentationen und medizinischen Inhalten kommt so eine Konferenz natürlich nicht ohne soziales Rahmenprogramm aus. Darauf möchte ich aber garnicht eingehen. Bei dem breiten Publikum ist quasi jedes Gespräch interessant und jeder Eindruck nachhaltig. Toll, was die Organisatoren Mark Newcombe und Sanj Fernando wieder auf die Beine gestellt haben. Vielen Dank für die inspirierende Erfahrung und die internationale Gemeinschaft.

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Bis zum nächsten Mal

JU

#FOAM deutsch

EKG „Wohnungsöffnung“

Ein Fall: Gegen Abend brachte der Notarzt eine bewusstlos aufgefundene Patientin ( 73 Jahre). Die Nachbarin, welche sich nach drei Tagen ohne Kontakt mit der Patientin Sorgen machte, hatte die Tür aufbrechen lassen und sie nicht ansprechbar auf dem Boden im Schlafzimmer gefunden. Die Patientin lebte selbstständig und alleine in der Wohnung. Wie lange die Patientin bereits im Schlafzimmer lag, konnte nicht mehr eruiert werden.

Die Patientin war auch bei Aufnahme bewusstlos, hatte aber noch einen Druck von systolisch 120 mmHg bei einer Sinusbradykardie. Die Patientin atmete auf dem Transport und bei Eintreffen in der Notaufnahme suffizient spontan. Dies war unser Aufnahme EKG.

Was war mit der Patientin passiert? Die Auflösung folgt nach dem EKG….

 

Auflösung:

Die Patientin hatte bei Aufnahme eine Körperkerntemperatur von 23 °C. Im EKG zeigt sich eine Sinusbradykardie mit einer Herzfrequenz von 33 bpm mit den für eine Hypothermie typischen EKG Zeichen: primär über der Vorderwand ist eine Osborne oder auch J-Welle zu finden. Dies sind positive Welle am Übergang vom QRS in die ST Strecke, was sonst de J-Punkt entspricht. Diese treten primär über der Vorderwand auf können in AvR und V1 negativ sein. Die Höhe entspricht grob der Schwere der Hypothermie.

Weitere Zeichen einer niedrigen Körperkerntemperatur sind AV Blockierungen, Verlängerung der QT- und QRS Zeit, die die bereits genannte Bradykardie, wobei ebensogut Vorhofflimmern mit einer langsamen „Antwort“ des Ventrikels auftreten kann.

Neben der schweren Hypothermie zeigte sich in der venösen BGA eine schwere Azidose. Die Patientin verstarb letztendlich in der gleichen Nacht, nachdem sie bei Kammerflimmern noch erfolglos reanimiert wurde. Wir gingen davon aus, dass die Patientin aufgrund eines Herzinfarktes zusammengebrochen war. Die Hypothermie ließ sich im Gespräch mit der Nachbarin später klären. Das Schlafzimmerfenster war beim Auffinden der Patientin offen. Es muss die gesamten drei Tage offen gestanden haben - bei Minusgraden.